Zeugnisverleihung im Bistum Erfurt

Festrede von Dr. Thomas Franz

Im Bistum Erfurt gibt es Begleitkurse zu Grundkurs und Aufbaukurs Theologie der besonderen Art. Jeder Begleitkurs, der auch für Teilnehmerinnen und Teilnehmer anderer (ostdeutscher) Diözesen offensteht, dauert drei Jahre. Er beinhaltet jedes Jahr sechs Studienwochenenden im Tagungshaus St. Ursula im Zentrum von Erfurt. In der Regel besprechen Professorinnen und Professoren der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt die Lehrbriefe, die zu ihrem Fachgebiet gehören. Diese intensive Begleitung, die durch die Diözese Erfurt auch personell gestützt wird, zeigt die hohe Wertschätzung, die der theologischen Laienbildung in Thüringen entgegengebracht wird. Diese Wertschätzung wird auch sichtbar an der Anwesenheit des Bischofs oder Weihbischofs beim Abschluss des Kurses und der Überreichung der diözesanen Zertifikate bzw. der Zeugnisse von Theologie im Fernkurs. Die Abschlussfeier für den Begleitkurs 2013-2015, an dem 30 Personen teilgenommen haben, fand am 21.11.2015 in Anwesenheit von Weihbischof Dr. Reinhard Hauke, der eigens einen Tag früher vom Ad-Limina-Besuch der deutschen Bischöfe aus Rom abgereist war, im Bildungshaus St. Ursula statt. Als Festredner war der Leiter von Theologie im Fernkurs, Dr. Thomas Franz, nach Erfurt eingeladen. Nachfolgend die Festrede „Gemeinsam Kirche sein – 50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil“, die für die schriftliche Fassung leicht überarbeitet wurde.

Sehr geehrter Herr Weihbischof Dr. Hauke,
liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Begleitkurses 2013-2015,
lieber Dr. Martin Ostermann, lieber Dr. Martin Riß,

ich habe mich sehr über die Einladung gefreut, heute in Erfurt einen kurzen Festvortrag zu halten – und dies aus zwei Gründen. Zum einen, um Ihnen zu gratulieren zu diesem Abschluss und zu dem dreijährigen gemeinsamen Nachdenken und Diskutieren über den Glauben, aber auch zum miteinander Beten und Feiern. Zum anderen möchte ich meinen Dank an das Bistum Erfurt aussprechen, das solche intensive Begleitung des Grundkurses von Theologie im Fernkurs ermöglicht.

Wir stehen am Ende des 50-jährigen Jubiläums des Zweiten Vatikanischen Konzils. Papst Benedikt XVI. hat 2012 das Jubiläum mit einem Jahr des Glaubens eröffnet, Papst Franziskus setzt das Jubiläum, das am 8. Dezember 2015 endet, fort mit einem Heiligen Jahr der Barmherzigkeit, das am gleichen Tag beginnt.

Das Zweite Vatikanische Konzil, das nun schon 50 Jahre zurückliegt, stellt – so hat es mein theologischer Lehrer in Würzburg, der Fundamentaltheologe Elmar Klinger, immer wieder betont – ein Gesamtprogramm des Glaubens zur Erneuerung der Kirche dar, das freilich noch in die Praxis umgesetzt werden muss. Dieses Konzilsverständnis lässt sich an den unterschiedlichen Dokumenten aufzeigen.

Da ist zunächst die dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung. „Dei verbum“. Sie versteht Offenbarung als die Selbstmitteilung Gottes in Wort und Tat, die zum Heil der Menschen geschieht und mit der Gott die Menschen teilhaben lässt an seiner göttlichen Natur. Inbegriff und Höhepunkt dieser Offenbarung ist Jesus Christus.

In der dogmatischen Konstitution über die Kirche „Lumen gentium“ wird Kirche als Sakrament verstanden, als Zeichen und Werkzeug der Einheit mit Gott wie der Einheit der Menschen untereinander. Noch vor der bis dahin präsenten Unterscheidung in die Stände der Kleriker, Laien und Ordensleute wird die Kirche als das pilgernde Volk Gottes aller Getauften angesehen, die alle durch Taufe und Firmung Anteil am priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt Christi haben (LG, Kapitel 2).

Die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ zeigt auf, wie die Kirche in der Welt von heute ihre Sendung erfüllen soll, nämlich indem sie die Zeichen der Zeit erforscht und im Licht des Evangeliums zu deuten hat (GS 4). Die Kirche hat die Aufgabe in der Welt, die hohe, göttliche Berufung aller Menschen in Wort und Tat zu bezeugen.

In der Liturgiekonstitution wird die Liturgie als die Feier der Gegenwart des Herrn unterstrichen: in der Versammlung der Gläubigen, im Wort, in den eucharistischen Gaben, in der Person des Priesters und in den Sakramenten deutlich gemacht.

Dialog wird zum zentralen Schlüsselwort des Konzils, das den ökumenischen Dialog mit den anderen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, den Dialog mit den nichtchristlichen Religionen und mit der Welt insgesamt will. Im sog. Laiendekret „Apostolicam actuositatem“ wird in Fortführung der ekklesiologischen Grundlagen von Lumen gentium der eigene kirchliche Sendungsauftrag der Laien unterstrichen. Hierfür, so das Dekret weiter, braucht es eine theologische Bildung, zu der die Laien nachdrücklich aufgefordert werden. Ohne die Weichenstellungen des Zweiten Vatikanischen Konzils wäre heute niemand von uns hier – mit Ausnahme des Herrn Weihbischofs.

Programme stehen auf dem Papier, sie müssen umgesetzt und realisiert werden. Bereits wenige Tage nach dem feierlichen Abschluss des Konzils am 8. Dezember 1965 hat einer der wichtigsten Theologen der damaligen Zeit, der Jesuit Karl Rahner, in einem Vortrag in München das berühmte Wort vom „Anfang eines Anfangs“ geprägt. Die Kirche sei nach drei Jahren intensivster Auseinandersetzung und im Ringen um die Verheutigung des Glaubens mit den zum Teil umfangreichen Dokumenten noch nicht am Ende, sie stehe erst am Anfang. Rahners Intention ist es, auf Folgendes aufmerksam zu machen: Gelingt es der Kirche jenseits aller Strukturfragen, dem Menschen von heute in seinen alltäglichen Lebensbezügen eine Ahnung vom unbegreiflichen Geheimnis des Absoluten, das wir Gott nennen, wie Rahner das immer zu formulieren pflegte, zu vermitteln.

In Zeiten einer zunehmenden 'Gottesverdunstung', die nicht nur hier im Osten besteht, sondern auch im Westen Deutschlands um sich greift, liegt heute wie vor 50 Jahren die zentrale Aufgabe der Kirche in dieser Sensibilität für die Gottesfrage. Der hier in Erfurt ja nicht unbekannte Soziologe Hans Joas spricht vom Glauben als Option. In unseren von Pluralismus geprägten sogenannten postsäkularen Kontexten gilt für Menschen, dass sie „konfessionslos glücklich“ sein können, wie ein interessanter Buchtitel lautet. Dies zu konstatieren fällt uns Gläubigen mitunter schwer, gehört aber zu einem nüchternen Realismus. Dass Religion allerdings auch eine Option für gelingendes Lebens ist, sollten wir uns als Kirche nicht nehmen lassen.

Die Kirche in Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Debatten um ihre Strukturen geführt, um das Verhältnis von Klerikern und Laien, um die Zuordnung von Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen, die oft den Eindruck erweckten, hier ginge es nur um eine interne Selbstbespiegelung und die eigentliche Aufgabe – wie Rahner es gesehen hat – gerät aus dem Blick.

Diese Debatten haben aus unterschiedlichsten Gründen seit 2010 nochmals an Fahrt aufgenommen. Auf vielen Ebenen wird der Frage nachgegangen, wie kann die Kirche in unserer Welt zukunftsfähig bleiben, wie muss das Handeln der Kirche gestaltet werden, um letztlich – mit Rahner gesprochen – die Gottesfrage wachzuhalten. Die deutschen Bischöfe haben im August 2015 ein spannendes und vielleicht auch brisantes Papier – was nicht immer von bischöflichen Papieren gesagt werden kann – vorgelegt: „Gemeinsam Kirche sein. Wort der deutschen Bischöfe zur Erneuerung der Pastoral“ (Die deutschen Bischöfe 100; hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2015).

Vielleicht werden spätere Interpreten diesen Text als einen Meilenstein für den „Anfang eines Anfangs“ in der Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils in unserer deutschen Kirche einordnen. Nebenbei bemerkt: Wem dies nach 50 Jahren immer noch zu langsam geht, sei an die Rezeptiongseschichte des Konzils von Trient, das 1563 endete, erinnert; erst im 18. Jahrhundert konnten sich die disziplinarischen Vorschriften für den Klerus endgültig durchsetzen und die Trienter Liturgie in manchen Teilen Deutschlands erst im 19. Jahrhundert.

Was will „Gemeinsam Kirche sein“, das sich als eine erneute Auseinandersetzung mit den beiden Konstitutionen über die Kirche „Lumen gentium“ und „Gaudium et spes“ versteht, deutlich machen. Der Text will zeigen: Wer ist eigentlich die Kirche? Wer sind ihre Subjekte? In einer Relecture greift der Text dabei auf das 5.Kapitel von „Lumen gentium“ über die allgemeine Berufung zur Heiligkeit zurück. „Vermutlich braucht es die gegenwärtigen kirchlichen Mangelerscheinungen, um die zentrale Wahrheit wieder zu entdecken: Jeder Christ ist aufgrund von Taufe und Firmung berufen, das Heilige in seinem eigenen Leben immer weiter zu entfalten und eben dadurch Welt und Kirche im Geiste Jesu Christi mitzugestalten“ (Gemeinsam Kirche sein 15). Die Berufung zur Heiligkeit wird dabei als so vielfältig angesehen wie die Vielfalt der Menschen. Sie ist etwas Dynamisches, mit dem der Einzelne nie fertig werden und die deshalb auch nur in Gemeinschaft gestaltet werden kann. Es gilt weiter: „Je mehr der Einzelne seine Berufung zur Heiligkeit erkennt und sie annimmt, umso mehr kommt die Kirche zu sich selbst und verwirklicht ihren ureigenen Auftrag.“ (Gemeinsam Kirche sein 18)

Das Wort der Bischöfe hebt die biblische, von Paulus geprägte Lehre von den Charismen nachdrücklich hervor, auf die sich schon Artikel 7 von „Lumen gentium“ bezieht. Die Vielzahl der Charismen sind der Reichtum der Kirche. Als Gaben des Heiligen Geistes können sie durchaus auch für Überraschungen gut sein. Eine Überschrift im Text lautet „Wir vertrauen auf die Charismen aller Gläubigen“ (Gemeinsam Kirche sein 26). Die Bischöfe möchten, dass die Konkurrenzverhältnisse und das Machtgebaren auf Seiten der Kleriker wie auf Seiten der Laien überwunden wird, in einem vertieften Verständnis der gemeinsamen Grundlagen des Christ- und Kircheseins. „Die Kirche ist primär nicht eine institutionelle fassbare Kirche der Priester und Hauptberuflichen, die dann die Getauften für weitere Aufgaben heranziehen. Sie ist in Christus das Sakrament, das sein Leben und seine Hingabe gegenwärtig macht. An diesem sakramentalen Kirchesein nimmt jeder Gläubige durch die Taufe teil. Gottes Geist erfüllt den ganzen Leib der Kirche und bewegt die Getauften zur Hingabe und zum Dienst aneinander und an der Welt. Diese Hingabe und Sendung des gesamten Volkes Gottes, die Christus in seiner Hingabe vergegenwärtigt, ist gemeint, wenn vom gemeinsamen Priestertum aller Getauften die Rede ist.“ (Gemeinsam Kirche sein 34) Von dieser priesterlichen Würde aller Getauften wird gesagt, dass sie nicht gesteigert werden kann, weder durch die Beauftragung einzelner Christen zu einem hauptberuflichen Dienst noch durch ein kirchlich geweihtes Amt. Einer Machtlogik von Oben und Unten, zwischen Priestern und Laien, zwischen Männern und Frauen widerspricht die Sakramentalität der Kirche. „Gemeinsam Kirche sein“ interpretiert daher den berühmten Satz aus „Lumen gentium“ ganz aus dem biblisch motivierten Verständnis von Dienst: „Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen aber und das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich zwar dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach. Dennoch sind sie einander zugeordnet: das eine wie das andere nämlich nimmt je auf besondere Weise am Priestertum Christi teil.“ (LG 10)

Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil unterstreicht das Wort der Bischöfe von 2015, dass das Wichtigste dieser Aussage nicht der Unterschied ist, den es weiterhin natürlich gibt zwischen dem gemeinsamen Priestertum und dem Priestertum des Dienstes, sondern die gemeinsame Zuordnung auf Christus. Alle haben Anteil am priesterlichen Amt Christi. Das geistliche Amt hat daher keinen höheren spirituellen Anspruch, ist keine intensivere Form des Christseins, sondern besteht ausschließlich in der Vollmacht darin, allen zu dienen und diesen Dienst an der Einheit in der Verschiedenheit der Gläubigen und ihrer Charismen zu realisieren. Für dieses Verständnis von „Gemeinsam Kirche sein“ bedarf es – so sagt der Text ausdrücklich mit Papst Benedikt – einer Mentalitätsänderung in der Kirche auf beiden Seiten. „Die Ämter der Bischöfe, Priester und Diakone sind Gnadengaben an die Kirche als Ganze, um ihre Sendung zu erfüllen. Alle Getauften sind berufen, durch das Zeugnis ihres Lebens Kirche zu bilden, wenige sind freigestellt, um ihnen dabei zu dienen.“ (Gemeinsam Kirche sein 44) Der Dienst des geistlichen Amtes wird daher mit dem Bild des Geburtshelfers umschrieben: Das geistliche Amt dient den Gläubigen darin, die eigenen Charismen zu entdecken und einzubringen und zwar nicht nur im Innenraum der Kirche, sondern gerade in der mitunter so gottlos erscheinenden Welt. Nicht umsonst wird das wohl am häufigsten zitierte Wort des Konzils, der Anfang der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ auch in diesem Text zitiert. „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“ (GS 1)

In Konsequenz bedeutet dieses ekklesiologische Verständnis auch, dass die Kirche neu über die Pluralität von Leitung nicht nur des geistlichen Amtes, nicht nur der hauptamtlichen Laien, sondern auch der Laien und zwar von Männern wie Frauen in den Gemeinden vor Ort nachzudenken und entsprechende Formen von Beauftragungen einzuführen hat.

Es lohnt sich diesen Text zu lesen, den ich hier nur kurz skizzieren konnte. Wie lange nicht mehr, lassen sich die Bischöfe aus theologischen Gründen darauf ein – in Rückbesinnung auf die grundlegenden Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils – über eine Erneuerung der Pastoral, auch im Blick auf die sonntägliche Eucharistie, deren zentrale Bedeutung für die Kirche wiederum hervorgehoben wird, offen für Experimente und abenteuerlustig nachzudenken. Hier in Erfurt ist das vielleicht nichts Besonderes, weil hier schon vieles ausprobiert wird und werden kann, aber für die Kirche als Ganzes in Deutschland ist nach meinem Kenntnisstand dies in solcher Klarheit von offizieller Seite der Bischöfe noch nicht gesagt worden.

Liebe Absolventinnen und Absolventen des Grundkurses. In den letzten drei Jahren haben Sie viele Informationen über den Glauben erhalten, viel theologisches Wissen gelernt, Sie hatten die Möglichkeit darüber nachzudenken, mit Fachleuten und miteinander darüber ins Gespräch zu kommen, zu diskutieren und auch zu streiten. Ich hoffe und wünsche Ihnen, dass Sie dabei ihr eigenes Charisma neu entdeckt oder weiter vertieft haben, mit dem Sie in ihren Gemeinden gemeinsam Kirche schon gestalten und zukünftig weiter gestalten können. Auch der Grundkurs ist nur der Anfang eines Anfangs, die Frage nach Gott im eigenen Leben und in der Vielfalt der Lebensmöglichkeiten der Menschen in unserer Welt wach zu halten.

Im Januar 2016 startete der nächste Begleitzirkel für den Grundkurs Theologie in Erfurt, der bis 2018 dauern wird. Hierfür haben sich 15 Personen angemeldet. Der Start für den nächsten Begleitzirkel zum Aufbaukurs Theologie ist Juli 2016.

Das Wort der Bischöfe „Gemeinsam Kirche sein“ ist hier als PDF-Datei verfügbar.