Buchempfehlung "Unterwegs mit dem Vaterunser"

Das Vaterunser unter der "Flüchtlingsbrille"

Manfred Riegger, in Zusammenarbeit mit Sabine Kern, Eva Riegger-Kuhn und Annette Webersberger: Unterwegs mit dem Vaterunser. Mit Flüchtlingen und Einheimischen das Gebet sprechen und verstehen lernen. (dkv) München 2016, 124 Seiten

Martin Ostermann

„Warum ein Band zum Vaterunser?“ fragen die Autorinnen und Autoren selbst in ihrem Vorwort. Gleich darauf schreiben sie, dass eben nicht einfach noch ein Buch zum zentralen Gebet der Christen vorgelegt werden soll, sondern dass mit einer spezifischen Zielsetzung vorgegangen wurde: „Entstanden ist unser Projekt aus den Erfahrungen heraus, dass Flüchtlinge vieles aus ihrem bisherigen Leben zurücklassen mussten und dass fast alles in der neuen Heimat unbekannt ist. Für die meisten gehört deshalb ihre Religion und ihr gelebter Glaube zu dem Wenigen, was sie retten konnten, was ihnen ein Stück weit Kontinuität vermitteln und Kraft bieten kann.“ Das Vaterunser als eine Ressource, die Kraft bieten kann. Da nicht wenige der Geflohenen Christinnen und Christen aus unterschiedlichen Ländern sind, kann das Vaterunser auch Kontinuität bedeuten.

Aus dieser Motivation heraus legen Manfred Riegger, Sabine Kern, Eva Riegger-Kuhn und Annette Webersberger mit „Unterwegs mit dem Vaterunser“ eine Arbeitshilfe vor, die aus verschiedenen Bausteinen zusammengesetzt ist und zahlreiche Materialien zur Umsetzung enthält. Der Untertitel deutet dann bereits die intendierte Vorgehensweise an: „Mit Flüchtlingen und Einheimischen das Gebet sprechen und verstehen lernen“. Das Vaterunser dient also als Brücke, um Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Glaubens miteinander in Kontakt zu bringen und diskursive Auseinandersetzung zu ermöglichen. Auch für diejenigen, die nicht direkt mit von Flucht und Migration betroffenen Menschen in Kontakt stehen, können die Anregungen und Vorschläge von „Unterwegs mit dem Vaterunser“ eine Neuentdeckung dieses sehr bekannten Gebetes sein.

Nach einer Einleitung, die vor allem der Klärung zentraler Themen und Bedingungen dient (z.B. „Interkulturelle religiöse Bildung“ oder „Flüchtling – Asylbewerber/in – Migrant/in“) und Hinweisen, wie sich Unterrichtsanfänge gestalten lassen (Nr. 1), wird unter Nr. 2 gefragt: „Wie sollen wir mit dem Vaterunser umgehen?“ Hier werden sowohl der biblische Kontext als auch die Auslegungstraditionen behandelt, um schließlich festzustellen, was es genau bedeute, dieses Gebet von Flüchtlingserfahrungen her deuten und verstehen zu wollen. Die Kapitel Nr. 3 bis Nr. 7 widmen sich dann jeweils den zentralen Aussagen („Geheiligt werde dein Name“) und Bitten („Vergib uns unsere Schuld“) des Vaterunsers. Das Kapitel Nr. 8 wirft abschließend einen Blick auf das ganze Gebet, um ein „bewusstes Beten“ zu thematisieren.

Jedes dieser Kapitel wird mit einer „Hinführung“ eröffnet, um anschließend die angezielten „Kompetenzen“ darzulegen und im dritten Schritt alternative „Unterrichtsbausteine“ vorzustellen. Durch diese klare und einheitliche Gliederung ist der im DINA4-Format gedruckte Band gut zu nutzen und verdeutlicht seinen Praxisschwerpunkt. Vervollständigt wird der Band durch insgesamt 40 Seiten Material(-Vorlagen) und durch ein Literaturverzeichnis.

Der Band „Unterwegs mit dem Vaterunser“ zeigt einmal mehr das große Potential des Grundgebetes aller Christen. Da nicht alle Unterrichtsbausteine und Materialvorschläge gleichermaßen passend und ansprechend sind, werden in jedem Kapitel Alternativen und Varianten vorgestellt. Sicher ergibt sich dadurch der Eindruck einer oft recht kurzen Stichwortsammlung, aber wer sich auf die Vorschläge einzulassen weiß und Erfahrung in pädagogischer Arbeit mitbringt, wird sich schnell zurechtfinden und mit einer Fülle von Ideen bedient werden. Der kostenfreie Downloadbereich des dkv bietet zusätzlich alle im Buch verwendeten Bilder in Farbe. 

Ein gelungener Beitrag für abwechslungsreichen Unterricht oder spannungsreiche Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen. Die „Flüchtlingsbrille“ bei der Anwendung aufzusetzen bedeutet: Menschen, die von Flucht betroffen sind, kommen nicht über Mangel oder Verlust in den Blick, sondern durch die gemeinsame Ressource der Kraft des Gebetes.