Buchvorstellung: Handeln in einer mehrdeutigen Welt

Alberto Bondolfi, Handeln in einer mehrdeutigen Welt. Theologische Ethik. Mit einem Beitrag von Thomas Wallimann-Sasaki zu Kriterien, Methoden und Themen angewandter christlicher Ethik (Reihe Studiengang Theologie, Band VIII), Zürich (Theologischer Verlag) 2020, 337 Seiten; ISBN 978-3-290-20114-2; 35,90 €.

Mit Erscheinen dieses Bandes liegt nun das Studienbuch zur theologischen Ethik von „theologiekurse.ch“, dem Schweizer Anbieter für berufsbegleitende Studiengänge in der Theologie vor, dessen Lehrunterlagen die Grundlagen für die Buchreihe bilden.

Die Themenbereiche, die im Buch angesprochen werden, wollen einen Gesamtüberblick über die Felder der theologischen Ethik bieten. So spannt sich der Themenbogen nach einer Einleitung mit Blick auf das Verhältnis von philosophischer und theologischer Ethik von der „Geschichte der theologischen Ethik“ über „Grundstrukturen des Ethischen“, „Allgemeine und angewandte Ethik“, eine „biblische Verankerung der theologischen Ethik“, Darstellungen zu „Ethik und Recht“, zur „‚autonomen Moral‘ und zur Besonderheit der christlichen Ethik“, zur „Begründung von Normen“, zur „Kasuistik und zur narrativen Ethik“, zur Alternative von „Tugend- oder Normethik“, zum „Gewissen in der theologischen Ethik“, zur „Sünde als Thema der theologischen Ethik“ hin zu Überlegungen zur „Unterscheidung von Gesetz und Evangelium“, bevor sich ein letztes Kapitel anschließt, das die „angewandte christliche Ethik“ zum Thema hat und vom Sozialethiker Thomas Wallimann-Sasaki verfasst wurde.

Den Band eröffnet eine fundierte und ausführliche wissenschaftsgeschichtliche Herleitung, die eine gute Grundlage bietet, aber in der Breite ihrer Anlage doch auf Kosten der Prägnanz der Argumentation geht. Der Titel des Buches „Handeln in einer mehrdeutigen Welt“, ist angenehm bescheiden gewählt. Geht es doch in der gegenwärtigen Zeit darum anzuerkennen, dass die Welt auf vielfache Weise gedeutet und verstanden werden kann. Die Zeiten eines „Deutungsmonopols“ sind – so es sie denn je gegeben hat – vorbei. Bedauerlich ist allerdings, dass der Anspruch, den die Ethik an das Handeln legt, nicht mit in den Titel eingeflossen ist. Hier hätte es treffender heißen können „Gutes Handeln in einer mehrdeutigen Welt“ – damit wäre die Zielperspektive der Ethik klarer konturiert, geht es ihr doch nicht um irgendein Handeln, sondern um das zu verwirklichende Gute.

Im Druckbild des Buches befindet sich durchgängig ein breiter Rand, der Raum für Notizen und Anmerkungen lässt und damit den Charakter des Studienbuches unterstreicht. Auch das differenzierte Literaturverzeichnis lädt zum Weiterstudium ein; noch verdienstvoller wäre dieses jedoch, wenn auch aktuellere Titel berücksichtigt würden. Der teilweise redundante Sprachstil verschafft dem Buch eine elegische Wirkung; hier hätte Straffung gut getan, insbesondere hinsichtlich der Länge der Hinführungen zu den einzelnen Kapiteln sowie bei der Häufung von Füllwörtern. Positiv für die Nachvollziehbarkeit und Einordnung der Darstellungen ist, dass der Autor an vielen Stellen seine persönliche Sicht klar kennzeichnet und die eigene Position zum Thema offenlegt.

Noch zwei kritische Anmerkungen im Detail: Bei der Überschrift zum Abschnitt 6.3 ist ein irreführender Fehler unterlaufen; dort steht „Recht und Politik“ – es geht im Abschnitt aber um Auslotungen im Verhältnis von Moral und Politik. Außerdem erscheint die Zusammenbindung von Kasuistik und narrativer Ethik in einem gemeinsamen Kapitel fragwürdig: Beide Zugänge zur Ethik haben doch sehr eigene und recht unterschiedliche Anliegen. Setzt die Kasuistik auf die Auseinandersetzung mit einem konkreten Fall bzw. einer bestimmten Sachlage, ist es gerade das Anliegen der narrativen Ethik, mit Verweis auf Erzählungen Offenheit und einen weiten Deutungshorizont aufzuzeigen.

Sehr positiv sticht der abschließende Teil zur angewandten Ethik heraus: Dieser ist hochaktuell und enthält sogar schon erste knappe ethische Reflexionen angesichts der Coronavirus-Pandemie. Thomas Wallimann-Sasaki erläutert knapp und klar acht hilfreiche Kriterien für ethisches Urteilen: „Welt- und Menschenbild“, „Natur- und Sachgerechtigkeit“, „Situation“, „Erfahrung“, „Gelebtes Ethos“, „Folgen“, „Gelehrtes Ethos“ und „Humor“. Daran anschließend entwickelt der Verfasser eine luzide Handreichung für ethisches Argumentieren und eine Einordnungsmöglichkeit ethischer Argumente. Sodann folgt – ganz im Sinn eines ethischen Ansatzes, der gutes Handeln ermöglichen will – die Hilfestellung bei der ethischen Urteilsfindung durch die Skizzierung von fünf Wegweisern, bevor abschließend in einem knappen Durchgang durch acht konkrete Themenfelder jeweils erste Fragehorizonte aufgezeigt werden.

Es lässt sich daher am Ende dieses Buches durchaus optimistisch sagen, dass gutes Handeln in einer mehrdeutigen Welt, wie sie sich heute zeigt, möglich und schaffbar ist.

 

Stefan Meyer-Ahlen