Perspektiven auf den Synodalen Weg

Eindrücke aus erster Hand

Nachdem sich zu Beginn des letzten Jahres 230 Delegierte auf der erste Synodalversammlung in Frankfurt am Main getroffen hatten, fanden im Herbst 2020 coronabedingt Regionalkonferenzen an vier unterschiedlichen Orten in Deutschland statt. Von einer dieser Regionalkonferenzen berichtet Julia Knop im folgenden Artikel. Sie ist Professorin für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt und Mitglied der Synodalversammlung sowie des Synodalforums „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“.

Corona, die Kirche und der Synodale Weg

Impuls für Regionalkonferenzen: Pandemie hat den kirchlichen Problemstau eher noch verschärft

COVID-19 hat unser aller Leben verändert. Bildung und Schule, Wirtschaft und Kultur stehen vor enormen Herausforderungen. Das Gesundheitssystem musste in kürzester Zeit angepasst werden. Im zwischenmenschlichen Bereich ist das Abstandsgebot eine große Herausforderung. Menschen halten Distanz zueinander, größere Menschenansammlungen müssen vermieden werden. Die Kirchen treffen diese Erfordernisse ins Mark. Denn die Versammlung zum Gottesdienst, das schulische Miteinander und die menschliche Nähe in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern mussten binnen kürzester Zeit radikal eingeschränkt werden. Manches ließ sich ins Digitale auslagern. Es sind viele kreative Formate entwickelt worden, auf neue Weise Kirche zu sein. Doch wer Schmerzen hat oder im Sterben liegt, braucht Nähe und Berührung. Eine Krankensalbung kann man nicht per Videokonferenz feiern. Ob Messe, Taufe oder Trauung: Es braucht die physische Versammlung. So vielfältig die Partizipationsmöglichkeiten via Internet sind – ein „Like“ ist kein „Amen“. Kinder in prekären Familienverhältnissen, alleinstehende Erwachsene oder Menschen, denen die Pandemie Arbeit und Einkommen genommen hat, brauchen direkte Hilfe und Zuwendung von Mensch zu Mensch.

Vier Beobachtungen

Was macht die Pandemie mit dem Synodalen Weg? Dazu haben die Professor/inn/en Hoff (Salzburg), Knop (Erfurt) und Söding (Bochum) einen Impuls gegeben, der Anfang September 2020 in die Aussprache der Regionalkonferenzen des Synodalen Wegs eingeflossen ist. Sie haben vier Beobachtungen eingebracht: 

1. Corona verschärft die Glaubwürdigkeitskrise der römisch-katholischen Kirche. Denn die Ausnahmesituation wirkt wie ein Brennglas. Sie legt frei, welche Ressourcen da sind und welche nicht: welche Möglichkeiten, vom Glauben zu sprechen, den Glauben zu leben und zu feiern. 

2. Die Kirche muss auch in Corona-Zeiten öffentlich präsent sein: präsent, aktiv und kreativ, nicht nur, indem sie Systemrelevanz behauptet, sondern indem sie wirklich einen relevanten Beitrag für Mensch und Gesellschaft leistet. 

3. Die Corona-Krise hat Reformkräfte in der Kirche freigesetzt: Junge Leute und Familien, haupt- und ehrenamtliche Laien wurden erfinderisch und haben neue Wege, Kirche zu sein, entwickelt. Dieses Neue soll man nicht zurückdrängen, sollte einmal wieder Normalzustand herrschen.

Kurz: 4. Die Reformimpulse des Synodalen Weges sind dringender denn je. Die Pandemie hat den kirchlichen Problemstau in Fragen der Macht, des Priesterbildes, der Rollen von Frauen und dem Verständnis gelingender Beziehungen in der Kirche nicht verringert, eher noch angeschärft. Auch eine neue Glaubenskultur ist dringender denn je: „Sie steht im Zeichen der Freiheit und der Verantwortung. Sie setzt auf Anteilnahme und Teilhabe. Sie plädiert für die Vielfalt des Glaubens, weil sie die Fülle der Gnade entdecken will. Sie stärkt die Kooperation um der Einheit der Kirche willen“ – so heißt es im Papier.

Dauerbrenner: Kirchliche Sexuallehre

In der Arbeitsgruppe und auf den Regionalkonferenzen des Synodalen Weges wurden die Differenzen deutlich

Trotz der corona-bedingten Einschränkungen haben die Foren des Synodalen Wegs ihre Arbeit aufgenommen. Auf den Regionalkonferenzen im Herbst 2020 wurde über einen Entwurf des Forums diskutiert, das zu „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ arbeitet. Dieses Feld ist weit; die Herausforderungen sind immens. Die katholische Sexualmoral gilt als nicht zeitgemäß, welt- und beziehungsfremd. Über kirchliche Vorgaben zur Familienplanung spricht kaum noch jemand. Sexuelle Beziehungen vor und jenseits einer Ehe finden weithin Akzeptanz. Die offizielle Haltung der Kirche zur Homosexualität wird als diskriminierend wahrgenommen. Dass man „sex“ (als biologisches Geschlecht) und „gender“ (als soziales Geschlecht) unterscheiden und eine gendersensible Sprache kultivieren muss, ist allenthalben selbstverständlich. In der katholischen Kirche gilt das jedoch immer noch als „Ideologie“. Angesichts der massiven Fälle sexualisierter Gewalt durch Kleriker ist eine prekäre kirchliche Doppelmoral offenkundig geworden.

Was sind die Grundlagen?

Es braucht eine Verständigung über die Grundlagen. Konsens besteht darin, dass Sexualität eine Schöpfungsgabe Gottes ist und in Liebe gestaltet werden soll. Doch was daraus folgt, ist umstritten. Ist sexuelle Selbstbestimmung nur ein Ideal? Oder handelt es sich um ein Recht jedes und jeder einzelnen? Ist Sex nur dann in Ordnung, wenn man gemeinsam Eltern werden will? Oder sind Liebe und Zeugung eigenständige Dimensionen menschlicher Sexualität? Können nur heterosexuelle Paare auf Gottes Segen bauen? Oder gilt dies unabhängig von der sexuellen Orientierung der Partner? Gibt es eine ein für allemal geltende eindeutige Offenbarung Gottes für menschliche Beziehungen? Oder kann sich kirchliche Ehelehre mit der Zeit weiterentwickeln?

Ein Kompromiss ist nicht in Sicht

Letztlich geht es um die Frage, ob man der Zeugungsfähigkeit oder der Beziehung zweier Partner das letzte Wort lässt. Die traditionelle kirchliche Lehre steht für die erste, die Überzeugung vieler Katholik/inn/en für die zweite Option. Das wurde in den Debatten sehr deutlich. Insbesondere die jungen Leute und diejenigen, die in nichtkirchlichen Berufen arbeiten, verwiesen zudem darauf, dass selbst eine entsprechend erneuerte kirchliche Sexualethik vom realen Leben weit entfernt wäre. Im Arbeitstext des Forums wurden die Konfliktlinien durch alternative Antwortmöglichkeiten offengelegt. Denn ein Kompromiss oder Einstimmigkeit sind nicht in Sicht. Am Ende wird man, so das Stimmungsbild der Synodalen in Berlin, Dortmund, Frankfurt/M., Ludwigshafen und München, Mehrheitsbeschlüsse verabschieden. Abweichende Sondervoten können natürlich eingebracht werden. Doch Ehrlichkeit tut not, wenn die Kirche auf dem Feld von Liebe und Sexualität wieder glaubwürdig und sprachfähig werden will. Alles beim Alten zu lassen, weil womöglich keine Einstimmigkeit erreicht wird, löst die Probleme jedenfalls nicht.

Julia Knop; Texte auch unter pfarrbriefservice.de veröffentlicht

 

 

Der Synodale Weg ist ein Gesprächsprozess innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland. Er soll der Aufarbeitung von Fragen dienen, die sich im Herbst 2018 nach der Veröffentlichung der sogenannten MHG-Studie über sexuellen Missbrauch in der Kirche ergeben haben. Die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken verantworten gemeinsam diesen Prozess, der auf zwei Jahre angelegt ist und am 1. Dezember 2019 eröffnet wurde.