Buchvorstellung „Theologie im Zeichen der Corona-Pandemie. Ein Essay“

Seit dem Frühjahr 2020 wird die Menschheit global durch die Corona-Pandemie heimgesucht. Wie kaum ein anderes Phänomen der letzten Jahrzehnte durchdringt der Corona-Virus alle Bereiche des menschlichen Lebens. Bei dieser so grundsätzlichen Problemlage stellt sich die Frage, welchen Beitrag der christliche Glaube und die Theologie, die diesen Glauben reflektiert, dazu beitragen kann. Der Blick in die theologische Landschaft ist allerdings ernüchternd. Um so erfreulicher ist der jetzt von Magnus Striet, Professor für Fundametaltheologie in Freiburg, vorgelegte Essay. Diesem Genre geschuldet wird auf den wissenschaftlichen Apparat verzichtet, ohne dass allerdings der reflexive Anspruch und das intellektuelle Niveau aufgegeben werden. Vielmehr wird die Frage gestellt, wie angesichts einer solchen Pandemie von Gott gesprochen werden kann und was gute bzw. schlechte Theologie ist. Striet wirft damit auch die grundlegende Frage auf, was Theologie als Rede von Gott leisten kann und was nicht. „Ob dieser Gott existiert, ist nicht zu entscheiden. Wird seine Existenz im Glauben unterstellt, so entstehen intellektuelle Rechenschaftspflichten. Das Sehnsuchtswort Gott ist immer wieder neu dem Stresstest auszusetzen, der sich Erfahrung nennt.“ (10)

Die klassische Frage, die die Erfahrung der Corona-Pandemie aufwirft, ist die nach dem natürlichen Übel (malum physicum): Warum lässt Gott dieses Übel (Krankheit, Seuchen, Tod) zu? Striet behandelt dies im Rückgriff auf zwei Literaten: Robert Gernhardt (1937-2006), der angesichts seiner Krebserkrankung seine Zweifel artikuliert, ohne die Sehnsucht aufzugeben. Die Wiederbelebung einer Theologie der Strafe Gottes und der damit verbundenen Erbsündentheologie im Gefolge von Augustinus gehören für Striet nicht mehr zum Repertoire zeitgenössischer Theologie. Dies hat bereits der zweite Literat Giovanni Boccaccio im 14. Jh. angesichts der Pest in Florenz gesehen, wenn er von der „Grausamkeit des Himmels“ spricht. Dass dennoch manche „theologische Merkwürdigkeiten“ seit dem dem Ausbruch der Pandemie wahrzunehmen sind, wird von Striet konstatiert.

Das Anliegen dieses Essays zielt jedoch darauf, wie von Gott als dem Schöpfer des Himmels und der Erde gesprochen werden kann, unter den Vorzeichen der modernen Wissenschaften, die als die eigentlichen Instanzen im Umgang mit dem Corona-Virus gelten, für die Gott keine Erklärungshypothese mehr ist. „Wie der Glaube an einen Gott, in dem sich die Hoffnung festmachen kann, noch mit dem jetzigen Weltwissen zusammengebunden werden kann, ist eine der theologisch heikelsten Fragen der Gegenwart.“ (118) Das geschehen der biologischen Evolution bringt Phänomene wie die Corona-Pandemie hervor. Aus christlicher Sicht sind sie Teil der Schöpfung Gottes. Sein Nichteingreifen wird von Striet mit dem von ihm favorisierten Freiheitsdiskurs begründet. Um der Freiheit des Menschen im Evolutionsgeschehen willen, ist letztlich ein Eingreifen Gottes in das Naturgeschehen kein Erklärungsansatz mehr. „Zwar kann ein Gott, der invasiv tätig wird, als theoretische Möglichkeit nicht prinzipiell ausgeschlossen werden. Ein tatsächlich allmächtig bleibender Gott bleibt der Gott aller Möglichkeiten. Ob man aber mit einem solchen Gott rechnen will angesichts der Fragen, die dies auslöst, muss jede und jeder für sich entscheiden.“ (121)

Für Striet ist Dietrich Bonhoeffer mit dem Satz „Vor Gott und mit Gott leben wir ohne Gott“ der theologische Gewährsmann einer adäquaten Gottesrede unter dem Zeichen der Corona-Pandemie. Allein um der Fragen willen, die in diesem kurzen Essay gestellt werden, lohnt sich dessen Lektüre.

Thomas Franz