Buchvorstellung: „Am Anfang und Ende des Lebens“

Stephan Ernst: Am Anfang und Ende des Lebens. Grundfragen medizinischer Ethik, Freiburg i. Br. (Herder) 2020, 400 Seiten; ISBN 978-3-451-38812-5; 30,00 €.

Es liegt ein neues und hilfreiches Kompendium zur Ethik in der Medizin aus der Perspektive der theologischen Ethik vor. Stephan Ernst, der Würzburger Professor für Moraltheologie und Autor von Grundkurs-Lehrbrief 14 („Die Schuld des Menschen und die Versöhnung mit Gott“) sowie Aufbaukurs-Lehrbrief 7 („Theologie im Mittelalter“), nimmt zu Grundfragen medizinischer Ethik fachkundig Stellung. Mit dem Buchtitel „Am Anfang und Ende des Lebens“ kommt in den Blick, dass einerseits die gesamte Lebensspanne bzgl. Fragen der Ethik in der Medizin bedacht werden soll, andererseits verdeutlicht dieser Titel auch sogleich, wo die Schwerpunkte für derartige Fragen zu verorten sind: nämlich am Anfang und am Ende des Lebens.

Das Buch, das mit der Intention einer Einführung in Grundfragen medizinethischer Ethik geschrieben wurde, umfasst vier größere Teile und einen Anhang. Zunächst gibt es eine fundierende Einführung zu „Aufgabe und Vorgehen einer Medizinethik aus theologisch-ethischer Sicht“. Hierin geht es um medizinethische Herausforderungen sowie um das Selbstverständnis der in dem Band vertretenen theologischen Ethik sowie um das daraus resultierende Vorgehen aus theologisch-ethischer Sicht.

Die umfassende Grundlegung lenkt im darauffolgenden, zweiten Kapitel den Blick auf die zentrale Perspektive des Buchs bezüglich Fragen der Medizinethik: Verhältnismäßigkeit als Grundprinzip der medizinischen Ethik. In der argumentativen Klarheit und der durchgehenden Anwendung der Verhältnismäßigkeit als Grundprinzip des ethischen Entscheidens liegt das besondere Spezifikum und die argumentative Kraft des Buches. Das Prinzip der zu wahrenden Verhältnismäßigkeit wird als ein Prinzip vorgestellt, „dem verantwortlich Handelnde in der Medizin immer schon folgen“ (S. 44). Es erscheint daher leicht einsichtig, klar und recht universell anwendbar.

Nach perspektivenreichen Präzisierungen des Prinzips „Verhältnismäßigkeit“ – u.a. unter Berücksichtigung von Gerechtigkeitstheorien und den in entsprechenden Diskussion sehr bekannten vier medizinethischen Prinzipien „nicht schaden“, „Wohltun und Fürsorge“, „Respekt vor der Autonomie“ und „Gerechtigkeit“ – wird es schon in der Grundlegung an einem ersten Anwendungsfall „praktisch“, wenn es in einem Exkurs ganz aktuell um "Verhältnismäßigkeit am Beispiel der Corona-Krise“ (S. 68-76) geht.

In den folgenden beiden großen Teilen des Buches kommen dann ethische Fragen am Anfang und am Ende des Lebens zur Sprache. Hier reicht der Bogen über alle wesentliche Themen der Ethik in der Medizin. Auf den ersten Blick erschein es ungewöhnlich, dass zunächst ethische Fragen am Ende des Lebens und erst in einem zweiten Schritt die am Anfang des Lebens bedacht werden. Vielleicht ist dies Ausdruck einer ethischen Haltung, die Dinge von ihrem Ende her zu denken. Zudem gilt es auch von Beginn des Lebens an, dessen Endlichkeit nicht aus dem Blick zu verlieren.

Dass der Autor auf einen Schlussteil oder ein Resümee am Ende des Buches verzichtet, mag verdeutlichen, dass die vorgestellten Fragen nicht abschließend zu behandeln sind, sondern Hilfen und Anregungen für individuelle Entscheidungsfindungen sein wollen. Die theologische Ethik, die Stephan Ernst vorstellt, lebt nun einmal von der Offenheit der Argumentation.

Sehr positiv fällt der Anhang des Buches auf, umfasst dieser doch ein detailliertes Sach- und Personenregister, welches das Auffinden bestimmter Stichworte und Themen sehr erleichtert und den Charakter des Buches als ein grundlegendes Kompendium verstärkt.

Auf ein langes und dann vielleicht auch eher unübersichtliches Literaturverzeichnis wurde verzichtet. Weiterführende Literatur wird immer direkt an der Stelle angegeben, wo der thematische Bezug ist.

So sei dieses Buch allen empfohlen, die neben einer grundlegenden Information zu den Fragen und Themenbereichen der Ethik in der Medizin an einer orientierenden und handlungsleitenden Hilfe bei der Entscheidungsfindung interessiert sind. Das Buch zeigt hilfreich auf, wie auch in herausfordernden Situationen des Lebens verantwortliches Entscheiden und Handeln nach christlichen Maßstäben gelingen kann. Hierbei hilft nicht zuletzt die stets präzise und wohl abwägende Argumentation des Autors sowie dessen klare Sprache und Formulierung.

Stefan Meyer-Ahlen