Die erste deutsche Bischofskonferenz 1848

Das Revolutionsjahr 1848 kann als ein entscheidender Markstein in der Entwicklung des modernen deutschen Katholizismus bewertet werden. Die Folgen lassen sich heute noch erkennen. Die Katholikinnen und Katholiken bzw. die katholische Kirche in Deutschland lernten sich als politisch, gesellschaftlich und kulturell konkurrierende Sozialform wahrzunehmen und entwickelten bis heute charakteristische Strukturen und Aktionsmuster. Zwei Phänomene, die 1848 ihren Anfang genommen haben, sind dabei besonders prägend: der deutsche Katholikentag und die deutsche Bischofskonferenz.

Als im März 1848 von Frankreich her die Revolution die deutschen Staaten erfasste, stimmten Katholikinnen und Katholiken, darunter vor allem auch Mitglieder des (einfachen) Klerus, in einer aus heutiger Sicht überraschend offenen Weise in die Rufe nach Freiheit und Gewährung der bürgerlichen Rechte mit ein. Sie erkannten die Chance, das schon lang als allzu drückend empfundene staatskirchliche Joch abzuwerfen und für die Kirche die ersehnte Unabhängigkeit zu gewinnen. In Mainz und Limburg wurden noch im März die ersten Piusvereine gegründet, die sich vor allem die religiöse Freiheit zum Ziel setzten. Neben Vereinen entstand auch eine katholische Tagespresse als Ergänzung zu den schon vorhandenen katholischen Zeitschriften. Eher zurückhaltend verhielten sich bis auf wenige Ausnahmen die Bischöfe und Bistumsleitungen. In ihren Hirtenbriefen mahnten sie zu Ruhe und Ordnung und warnten vor jeder Radikalisierung. Der Würzburger Korrespondent der in Mainz erscheinenden Zeitschrift „Der Katholik“, ein Sprachrohr der katholischen Vereins- und Wahlbewegung, klagte deswegen über das Würzburger Ordinariat, es lasse ein kräftiges Auftreten vermissen.

Ein eindeutig offensiveres Vorgehen zeichnete den Kölner Erzbischof (und ab 1850 Kardinal) Johannes (von) Geissel (1796–1864) aus. Aus der sog. Mainzer Schule stammend war er streng kirchlich und ultramontan ausgerichtet. Er sah es für notwendig an, dass die Bischöfe bei der Neugestaltung der kirchlichen Verhältnisse die Initiative nicht aus der Hand geben. Er berief für den 10. bis 13. Mai 1848 eine Konferenz der Bischöfe der Kölner Kirchenprovinz ein. Die hierbei anwesenden Bischöfe betonten ebenfalls die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat; gleichzeitig müsse aber der Staat die Kirche in ihrer rechtlichen Stellung anerkennen und vor allem im Schulbereich der Kirche völlig freie Hand lassen. Sie brachten darüber hinaus ihren Wunsch zum Ausdruck, dass eine deutsche Nationalsynode zusammentrete, um eine gemeinsame Linie für eine gesamtdeutsche Lösung in Kirchenfragen festzulegen und politisch zu vertreten.

Als bald darauf – am 18. Mai 1848 – in der Frankfurter Paulskirche die neu gewählte Nationalversammlung zusammentrat, bildete sich ein interfraktioneller Klub von katholischen Abgeordneten, um für die Interessen der katholischen Kirche bei der Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses einzutreten. Allerdings entwickelte sich die Debatte in der Nationalversammlung nicht im Sinne der katholischen Vorstellungen, weswegen außerparlamentarisch der sog. Petitionssturm mit 1.142 Petitionen und 273.135 Unterschriften auf den Weg gebracht wurde. Um die katholischen Interessen noch stärker öffentlich zur Geltung zu bringen, entstand während des Kölner Dombaufestes vom 14. bis 16. August 1848 der Gedanke eines Treffens von Delegierten aller bisher gegründeten Piusvereine. Vom 3. bis. 6. Oktober 1848 fand dann in Mainz die Generalversammlung der Piusvereine statt, die heute als erster deutscher Katholikentag bezeichnet wird. Sie war von einer euphorischen Grundstimmung gekennzeichnet. Das Treffen sei, so heißt es im offiziellen Bericht, „wie ein neuer Pfingsttag […], in welchem der Geist, die Kraft und die Liebe des Katholicismus sich offenbarte[n]“1, gewesen. Die Mainzer Tagung bereicherten 23 Abgeordnete der Frankfurter Nationalversammlung mit dem Münchener Kirchenhistoriker Ignaz (von) Döllinger (1799–1890) und dem sozial engagierten westfälischen Pfarrer Wilhelm Emmanuel von Ketteler (1811–1877, ab 1850 Bischof von Mainz) als profilierteste Vertreter. Konkrete Ergebnisse dieses sog. ersten deutschen Katholikentages bildeten die Gründung des „Katholischen Vereins für Deutschland“ als erster Versuch, die katholischen Laien in Deutschland organisatorisch zusammenzufassen, sowie eine an die Frankfurter Nationalversammlung gerichtete Verwahrung wegen ihrer zu wenig kirchenfreundlichen Beschlüsse. Der erste Katholikentag wird gerne als großes „Laienkonzil“ hingestellt, tatsächlich überwog aber in Mainz das klerikale Element. Es ging zweifellos mehr um die Organisierung des katholischen Volkes zur kirchenpolitischen Instrumentalisierung als um eine Laienemanzipation.

Auf dem schon erwähnten Kölner Dombaufest festigte sich bei den dort anwesenden Bischöfen unter Führung von Erzbischof Geissel die Auffassung, dass ein Treffen aller deutschen Bischöfe möglichst bald auf den Weg gebracht werden solle. Auch der in Köln anwesende Wiener Nuntius Michele Viale-Prelà (1798–1860) unterstützte dieses Anliegen. Vom ursprünglichen Gedanken einer formellen Nationalsynode nahm man Abstand, da dafür eine päpstliche Genehmigung und auch eine längere Vorbereitung notwendig gewesen wäre. Bekanntermaßen reagierte man in Rom spätestens seit den gallikanischen und febronianischen Bestrebungen des 18. Jahrhunderts auf Unternehmungen wie Nationalsynode und Nationalkonzil äußerst zurückhaltend, wenn nicht sogar ablehnend. Trotz des Widerstandes mancher Amtsbrüder, wobei in erster Linie der Münchener Erzbischof Karl August Graf von Reisach (1800–1869) zu erwähnen ist, der in einer solchen Versammlung eine Gefährdung der päpstlichen Vollgewalt sah, rief Erzbischof Geissel mit Einladungsschreiben vom 1. Oktober 1848 die deutschen Bischöfe zu einer an sich formlosen synodalen Zusammenkunft oder, wie es erst später heißen sollte, Bischofskonferenz nach Würzburg zusammen. In einer dem Einladungsschreiben beigelegten Denkschrift betonte Geissel, wie wichtig „ein vereintes Begegnen, ein gemeinsames Handeln“ der Bischöfe sei. Die „grosse Vereinzelung und fast gänzliche Diözesan–Abgeschlossenheit“ mancher Bischöfe müsse überwunden werden. Auch weist Geissel, um die Sorgen der besonders papsttreuen Bedenkenträger zu zerstreuen, eigens darauf hin, dass die „gefaßten Beschlüsse und Anordnungen“ der päpstlichen Genehmigung bedürften. Er sieht sogar die Chance, durch die „synodale Thätigkeit“ die Verbundenheit mit Rom zu intensivieren.2 Nachdem die Mehrzahl der Bischöfe bzw. ihrer Vertreter, wie im Einladungsschreiben gewünscht, am 21. Oktober in Würzburg eingetroffen waren, fand unter dem Vorsitz des Kölner Erzbischofs Geissel am 23. Oktober 1848 im Speisesaal des Priesterseminars die erste Sitzung statt.

In Laufe der Konferenz stieg die Anzahl der Bischöfe bzw. ihrer Vertreter, sodass alle Bistümer des Deutschen Bundes repräsentiert waren, mit Ausnahme Österreichs, von wo nur der Erzbischof von Ölmütz und der Bischof von Brixen Vertreter geschickt hatten. Am 2. November 1848 folgte noch der Salzburger Fürsterzbischof und (damit der zumindest nominelle) Primas Germaniae Friedrich Fürst zu Schwarzenberg (1809–1885), dem der Ehrenvorsitz übertragen wurde. Bis zum 16. November fanden in der Regel täglich zwei Sitzungen mit insgesamt acht bis neun Stunden Beratungsdauer statt. Ab dem 13. November fanden die letzten Sitzungen im Speisesaal des Franziskanerklosters statt, da das Priesterseminar für die aus den Semesterferien zurückkehrenden Alumnen freigemacht werden musste. Auch eine Reihe von Theologen – der bekannteste war wohl Döllinger – brachten ihre Expertise bei den Beratungen ein. Auch prominente Laien, wie der badische Katholikenführer Franz Joseph von Buß (1803–1878), weilten in dieser Zeit in Würzburg; auch wenn sie nicht an den Verhandlungen teilnehmen konnten, vermochten sie so auf die Beschlüsse Einfluss zu nehmen.

Im Mittelpunkt der Verhandlungen standen in der Situation des Jahres 1848 naturgemäß staatskirchenrechtliche Fragen. Kernanliegen war auch für die in Würzburg tagenden Bischöfe, den staatlichen Einfluss auf die Kirche weitgehend zu beschränken. Für die Bischöfe galt allerdings, dass die Kirche „nicht nach einer Trennung, sondern nach möglichst freier Bewegung und Selbstständigkeit streben“3 solle. Sie favorisierten ein Kooperationsmodell bei möglichst großer Unabhängigkeit der Kirche. Besonders sollte auch die Priesterausbildung in der kirchlichen Verantwortung liegen.

Die Bischöfe sprachen sich auch für die Durchführung von Diözesansynoden, ebenso für die von Provinzialsynoden gemäß den kirchenrechtlichen Vorschriften aus. Erste Schritte zu nationalkirchlichen Strukturen wollten die Bischöfe aber nicht befürworten. Sie einigten sich nur darauf, die Erlaubnis für die Einberufung eines Nationalkonzils bzw. einer Nationalsynode beim Papst zu erbitten.

In der Freiheitsfrage standen die Bischöfe der Forderung nach individueller Freiheit distanziert gegenüber, vielmehr ging es um die institutionelle Freiheit für die von Gott gestiftete Kirche. Das uneingeschränkte öffentliche Agieren der Kirche sei in einer „Zeit […], die den menschlichen Irrthum mehr begünstigt als die göttliche Wahrheit“4, unverzichtbarer als jemals zuvor. Es sei notwendig, „dass sie [die Kirche] für die Aus- und Durchführung ihrer die Welt erlösenden Mission nur die vollste Freiheit und Selbsttändigkeit in Anspruch nimmt“5. Der Münchener Erzbischof Reisach betonte während der Verhandlungen der Bischöfe die in der katholischen Kirche bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil offiziell vertretene Auffassung: „[…] eine Forderung der allgemeinen Freiheit ist bedenklich. Nur die Wahrheit, nicht der Irrthum hat das Recht gelehrt zu werden“6.

Schon bevor die Bischöfe die Beratungen abschlossen, teilten sie in Schreiben vom 12. und 14. November 1848 ihre Beschlüsse Papst Pius IX. mit. Sie gingen wohl auch davon aus, dass sie sich in einer Nationalsynode bald wieder treffen würden. Obwohl die Würzburger Versammlung jeden Anlass zum Verdacht vermied, mit einer Nationalsynode könnten Tendenzen zur Abspaltung verbunden sein, und sie wiederholt den organischen Zusammenhang mit Rom betonten, fiel das Ansinnen der deutschen Bischöfe in Rom nicht auf fruchtbaren Boden, zumal es mit Erzbischof von Reisach einen Vertreter gab, der diesen Plan in Rom gezielt zu torpedieren suchte. Papst Pius IX. kam der Bitte um Genehmigung einer Nationalsynode mit dem etwas fadenscheinigen Hinweis auf die widerwärtigen Zeitverhältnisse nicht nach. Das Scheitern der deutschen Einigungsbestrebungen von 1848 ließ auch eine Nationalsynode bald nicht mehr dringend erscheinen.

Die Kurie begegnete den Initiativen des Jahres 1848 trotz aller propäpstlichen Bekenntnisse mit offensichtlicher Skepsis. Sie besaß ein waches Auge Roms für strukturelle Veränderungen, die langfristig auch nach theologischen Deutungen verlangten. Katholische Laienbewegungen und alle kollegialen Regungen wurden argwöhnisch betrachtet, da deren Eigendynamik nur schwer kontrollierbar erschien.

Papst Pius IX. fand aber anerkennende Worte für die Zusammenarbeit der Bischöfe in der informellen Konferenz. Dieses Format wurde daher bald wieder aufgegriffen, so in Bayern, wo 1850 erstmals die bayerische bzw. Freisinger Bischofskonferenz tagte. Ab 1867 etablierte sich daneben die Fuldaer Bischofskonferenz, welche die übrigen deutschen Bischöfe vereinigte. Eine gesamtdeutsche Bischofskonferenz gab es erst wieder ab 1933 angesichts der nationalsozialistischen Herausforderungen. Den Charakter eines informellen Treffens verlor die Deutsche Bischofskonferenz erst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Mit dem Statut von 1966/67 und der Bildung des Verbandes der Diözesen Deutschlands (1968) kam es in gewisser Weise zu nationalkirchlichen Strukturen, ein Anliegen, das schon in der Bischofskonferenz von 1848 thematisiert worden war. Wirklich geklärt ist das Verhältnis von kollegialer Gebundenheit im Rahmen einer Bischofskonferenz sowie Kompetenz der Einzelbischöfe allerdings immer noch nicht.

  

Literatur:

Erwin Gatz, Synodale Bewegungen und Diözesansynoden in den deutschsprachigen Ländern von der Säkularisation bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil, in: Römische Quartalschrift 82 (1987), S. 206–224.

Theodor Henner, Die Versammlung der Deutschen Bischöfe zu Würzburg im Jahre 1848, in: Hundert Jahre bayerisch. Ein Festbuch, Würzburg 1914, S. 335–352.

Rudolf Lill, Die ersten deutschen Bischofskonferenzen, Freiburg/Basel/Wien 1964.

Joachim Schmiedl, Die Deutsche Bischofskonferenz – von revolutionären Anfängen zu institutioneller Verfestigung, in: Theologische Quartalschrift 196 (2016), S. 5–21.

Hermann Storz, Staat und katholische Kirche in Deutschland im Lichte der Würzburger Bischofsdenkschrift (Kanonistische Studien und Texte 8), Bonn 1934.

Klaus Wittstadt, Die erste deutsche Bischofskonferenz 1848 in Würzburg, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 60 (1998), S. 433–460.

  

Prof. Dr. Wolfgang Weiß war bis Wintersemester 2022/23 Inhaber der Professur für Fränkische Kirchengeschichte und Kirchengeschichte der neuesten Zeit an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und ist 1. Vorsitzender des Würzburger Diözesangeschichtsvereins. 2022 wurde ihm das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Wolfgang Weiß schrieb für den Grundkurs Theologie den Lehrbrief 21 "Die katholische Kirche im 20. Jahrhundert".

  

1 Verhandlungen der ersten Versammlung des katholischen Vereines Deutschlands. Amtlicher Bericht, Mainz 1848, S. X.

2 Denkschrift bzw. Promemoria, gedruckt in: Acta et Decreta Sacrorum Conciliorum recentiorum. Collectio Lacensis, Bd. V, Freiburg 1879, Sp. 959-1144 [Conventus Episcoporum Herbipolensis], hier Sp. 946-958, zitierte Stellen auf Sp. 947, 955, 957; auch abgedruckt in: Friedrich H. Vering, Die Verhandlungen der deutschen Erzbischöfe und Bischöfe zu Würzburg im Oct. und Nov. 1848, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht Bd. 21 NF 15 (1869), S. 108-169, hier S. 129-150.

3 Friedrich H. Vering, Die Verhandlungen der deutschen Erzbischöfe und Bischöfe zu Würzburg im Oct. und Nov. 1848, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 21 NF 15 (1869), S. 207-290, hier S. 226.

4 Hirtenworte der in Würzburg versammelten Erzbischöfe und Bischöfe Deutschalnds an die Gläubigen ihrer Diöcese, in: Acta et Decreta (wie Anm. 2), Sp. 1128-1132, hier Sp. 1130.

5 Denkschrift der in Würzburg versammelten Erzbischöfe und Bischöfe Deutschland, in: Acta et Decreta (wie Anm. 2), Sp. 1133-958, hier Sp. 1134; auch abgedruckt in: Friedrich H. Vering, Die Verhandlungen (wie Anm. 2), S. 108-117, hier S. 111.

6 Friedrich H. Vering, Die Verhandlungen (wie Anm. 3), S. 259.