Unterwegs im Land der Bibel
Studienreise vom 17./19. bis 27. Februar 2023 nach Israel
Israel – der Name des biblischen Volkes – wird oft mit Kraft oder Macht Gottes übersetzt, mitunter auch mit Streit oder Auseinandersetzung. Die diesjährige Studienreise des Würzburger Fernkurses nach Israel begann prompt mit einer solchen – allerdings wenig göttlichen – Auseinandersetzung. Streiks der Gewerkschaft verdi haben im Februar kurz vor dem geplanten Reisebeginn zumindest all diejenigen ausgebremst, die über den Frankfurter Flughafen ins Heilige Land gelangen wollten. Krisensitzungen und Online-Konferenzen von Studienleitung, Veranstalter, Reiseleitung und Teilnehmenden waren erst einmal die Folge. Mit zweieinhalb Tagen Verspätung – der leider ein großer Teil des Programms am See Genezareth zum Opfer fiel – und verteilt auf mehrere Flüge ging es für die 24-köpfige Reisegruppe dann endlich los.
So stressig der Auftakt war, so sehr hat dann aber diese Reise doch begeistert. Studierende aus ganz unterschiedlichen Phasen des Fernkurses und aus vielen verschiedenen Regionen brachten ebenso viele unterschiedliche Erfahrungen, Denk- und Sichtweisen mit, was die einzelnen geografischen und biblischen Stationen bereicherte. Dazu trug auch bei, dass Studienleiterin Dr. Elisabeth von Lochner (Würzburg) und Reiseleiter Johannes Kempin (Freiburg) zu jeder der ursprünglich geplanten 11 Stationen einen Impuls aus den Reihen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer anregten.
Die erste Etappe der Reise führte von unserem Streik-bedingt nur kurz genutzten Quartier im Kibbuz Degania am Südufer des See Genezaret nach Kafarnaum, wo wir uns unter Anleitung von Johannes Kempin der ersten Bibelstelle Mk 1,21-28 (Heilung des von einem unreinen Geist Besessenen) widmeten. Dieses Prozedere haben wir für die kommenden sieben Tage immer beibehalten: Geografische Position, passende Bibelstelle dazu, Auslegung, Diskussionen. Es waren diese intensiven Gespräche, die uns nicht nur Israel als historische Bibelstätte, sondern Glauben und Glaubenserfahrung nahegebracht haben.
Bibelarbeit am Ufer des Sees
Von Kafarnaum ging es zu Fuß an einer imaginären Zollstelle vorbei (Mk 2,13-17) auf den Berg der Seligpreisungen (Mt 5-7), wo wir mit Blick auf den See eine erste große gemeinsame Bibelarbeit einlegten. Von dort schließlich weiter zu Fuß nach Tabgha (herrlich: gemeinsames Taizé-Singen der immer noch 24 Teilnehmer in der Brotvermehrungskirche) und schließlich ans Ufer des Sees, wo wir diesen ersten, dicht gepackten Tag mit Gedanken über Mt 14,22-33 (Jesus geht über das Wasser, Boot im Sturm, Petrus, der versinkt) abschlossen.
Ein Wort zu den 24 Teilnehmern: Wer schon einmal mit einer Gruppe verreist ist, weiß, dass alle ein anderes Tempo und unterschiedliche Interessen haben. Während die eine noch vor einem Rosenstrauch verweilt, läuft der andere schon um die nächste Ecke. Da unterscheidet sich eine Gruppe erwachsener ThiF-Studierender nicht von einer Schulklasse. Daher hatte Dr. Elisabeth von Lochner zwar nicht alle Hände voll zu tun, aber immer einen Finger parat zum Durchzählen. Das wurde schon nach dem zweiten Tag zu einem Running Gag. Aber ohne ihr Bemühen wären wir möglicherweise aus dem Jerusalemer Gassen-Gewirr oder dem Wadi Qelt in der Judäischen Wüste nicht mehr vollzählig herausgekommen. Danke also dafür!
Im Anschluss an die Episode am See Genezaret (ich will da unbedingt noch einmal hin!) ging es auf den Spuren Jesu am Jordan entlang zur Taufstelle, die heute noch vor allem von orthodoxen Christen und Christinnen sowie von Angehörigen von Freikirchen für Taufe oder Wiedertaufe genutzt wird – inklusive der weißen Taufkleider, die es dort im Shop gibt, und unter Bewachung von israelischen und jordanischen Soldaten. Denn die Taufstelle ist der einzige freie Zugang zum Jordan, der ansonsten Grenzfluss inmitten einer gespaltenen Region ist.
Jordan – Jericho – Jerusalem
Anschließend ging es nach Jericho. Wir bereisten sozusagen die Strecke von Josua, der der Bibel nach das Volk Israel über den Jordan ins Heilige Land führte und später die Stadt Jericho mit Posaunen und Hörnern erobert haben soll. Eine Erzählung, für die es kaum historische Belege gibt und mit der möglicherweise die Zerstörung Jerusalems im Jahr 587 v. Chr. aufgearbeitet wurde.
Von Jericho fuhren wir schließlich zu unserer nächsten Unterkunft nach Bethlehem hinauf – und „hinauf“ ist wörtlich zu nehmen. Auch in den Psalmen 24 („wer darf hinaufziehen zum Berg des Herrn“) und 122 („Dorthin ziehen die Stämme hinauf“), die wir im weiteren Verlauf der Woche gelesen und gedeutet haben, ist die Rede vom „hinauf“. Jerusalem liegt auf einem Felsgrat gute 800 Meter über dem restlichen Land. Nach Bethlehem geht es sogar noch ein Stückchen höher, insgesamt haben wir in kurzer Zeit fast einen Kilometer Höhenunterschied auf zum Teil abenteuerlich kurvenreichen Straßen überwunden. Und: Bethlehem liegt nicht nur höher. Es ist dort auch entsprechend kälter. Der abendliche Besuch auf den Hirtenfeldern erwies sich als sehr frisch…
Sechs Stunden zu Fuß durch die Wüste
Was für ein Kontrast dazu das Programm am übernächsten Morgen: Aufbruch um 6.15 Uhr in das Wadi Qelt. Das Besondere an diesem Wüsten-Abschnitt ist der permanente Gegensatz: hier Stein, Fels und Sand, nach der nächsten Kurve plötzlich grüne Oase, immer begleitet von einem Bach, der tief unten durch das gesamte Tal zieht. Zitat von Katharina: „Du läufst durch die Wüste, und das Einzige, was Du hörst, ist Wasser.“ – Wenn man es hörte. Denn über weite Strecken war das Wadi vor allem Stille. Ein beeindruckendes Erlebnis. Aber auch ein abenteuerliches: Eine etwas grobschlächtige Sanierungsarbeit an einem kleinen Wasserkanal ließ den Weg wegbrechen und uns wie Bergziegen durchs Geröll springen. Da gab es die Sportlich-Mutigen, die den anderen die Hand reichten, und die Unsicheren, die sich helfen ließen. Durchgekommen sind wir alle. Ein wunderbares Gemeinschaftserlebnis!
Insgesamt fast sechs Stunden waren wir in der Wüste unterwegs, haben vom Volk gehört, das bei seinem Auszug aus Ägypten gegen Gott und Moses murrte, die Geduld verlor und erst wieder Mut schöpfen musste, neue Wege zu gehen. Hier vor Ort war außerdem das Gleichnis vom barmherzigen Samariter beeindruckend, der in dieser heiß-trockenen und lebensfeindlichen Gegend Leben rettete.
Am Vortag der Wüstenwanderung war Aschermittwoch. In einem Land, das öffentlich wahrnehmbar vor allem vom Islam geprägt ist, ist das keine große Sache. Dennoch konnten wir geweihte Asche erhalten und haben in einer kleinen Gruppen-Andacht den Einstieg in die Fastenzeit zelebriert. Ein weiteres wundervolles Erleben unserer Gemeinschaft – während draußen der Muezzin fünfmal am Tag mit etlichen Lautsprecher-Dezibel zum Gebet rief. Das macht er übrigens auch abends um sechs, um Mitternacht und morgens um halb fünf, je nachdem wie halt die Sonne steht. Wohl dem, der Oropax im Gepäck hatte…
Zurück zur Wüste: Von dort ging es nach Qumram, der Ausgrabungsstätte, in deren Umfeld um 1950 herum zweitausend Jahre alte Schriftrollen gefunden wurden. Die Stätte ist in Sichtweite zum Toten Meer, das seinerseits durch die zunehmende Austrocknung mittlerweile fast einen halben Kilometer unter Normal Null liegt. Auf dem Wasser liegen, ohne unterzugehen, ließ sich tatsächlich prima, allerdings befinden sich viele schroffe Felsen durch den gesunkenen Wasserspiegel nunmehr direkt unter der Oberfläche – was manche Schürfwunde nach sich zog (Danke an Heinz-Werner und Christina fürs Verarzten – gelebtes Samaritertum). Dann endlich abends die Fahrt in unsere letzte Unterkunft, nach Jerusalem – ins lutherische Gästehaus, das mitten im jüdischen Viertel liegt.
Mosaik der Religionen
Zu sagen, dass die vier Tage in Jerusalem der spannendste Teil der Reise waren, wäre nicht gerecht gegenüber den beeindruckenden Stationen im Norden, am Jordan und in Bethlehem. Aber Jerusalem ist historisch, politisch, geografisch und architektonisch schon etwas Besonderes. Dicht gebündelt liegen hier vorchristliche Geschichte aus der Zeit der Könige und das Wirken Jesu in seinen letzten drei Lebensjahren nebeneinander: Heilung des Gelähmten am Bethesda-Teich (Joh 5), Heilung des Blinden am Shiloach-Teich (Joh 9), dazwischen auf dem Tempelberg die Diskussionen der Schriftgelehrten über Jesu Heilungstaten (Joh 7). Johannes Kempin ist es immer wieder gelungen, die Architektur der Stadt, archäologische Funde und die Erzählungen der Bibel miteinander zu verbinden – inklusive Gang durch vorchristliche Wasser- und Abwasser-Kanäle tief unten im Kidron-Tal.
Jerusalem ist nicht nur christliche Bibelstätte, sondern vor allem Mosaik der Weltreligionen. Da gibt es schon mal Reibereien. Wie an diesem Freitag, als auf dem Tempelberg die Muslime mit noch ein paar Dezibel mehr ihr Freitagsgebet verrichteten, während zu ihren Füßen an der Klagemauer die Juden den Beginn des Sabbat feierten. Wir haben mitgefeiert, nicht nur hier vor Ort, sondern auch im Anschluss beim gemeinsamen Sabbat-Essen nach traditionellem Ritus.
Zurück auf dem Weg Jesu ging es am nächsten Morgen auf den Ölberg, von wo sich der berühmte Panorama-Blick (siehe Foto) auf Jerusalem bietet: überragt von der goldenen Kuppel des Felsendoms, der weder Dom ist noch Moschee, sondern Gebetshaus zum Gedenken an die Stelle, an der Mohammed in Richtung Mekka aufgestiegen sein soll. Immer wieder war diese Studienreise auch Teil eines interreligiösen Dialogs. In der so genannten Tränenkirche („Dominus flevit“ = der Herr weinte) am Rande des Ölbergs zeigte sich einmal mehr raffinierte Kirchen-Architektur: das Kreuz im Fenster liegt in der Perspektive direkt auf der Kuppel der Grabeskirche. Dort waren wir ebenfalls, sowohl im Golgota-Teil, als auch bei den Steingräbern, die von der Kirche aus zu besichtigen sind. Wer mochte, konnte sich auch frühmorgens in die Schlange vor der Stelle einreihen, die als Grab Jesu verehrt wird. Spätnachmittags ging natürlich auch, aber dann war die Schlange noch länger …
Am Sonntag – erster Fastensonntag – haben wir in der vom Deutschen Verein vom Heiligen Land unterhaltenen Dormitio-Abtei auf dem Zions-Berg die Hl. Messe mitgefeiert. Wegen einer Baustelle in der Abteikirche zwar nur in der Krypta, schön war es trotzdem. Nur wenige Gassen entfernt, in Sichtweite zur Abtei, befindet sich der Abendmahlssaal, den wir noch besichtigten. Von dort starteten wir zu unserer vorletzten Station, der Erinnerungsstätte Yad Vashem. Danach war Durchschnaufen angesagt, denn die Bilder und Texte aus dem Holocaust wirken auch nach über 80 Jahren noch verstörend und bedrückend.
Wir haben Gottes Spuren festgestellt
Den Abend in unserem Gästehaus – wir haben übrigens die gesamte Woche über eine hervorragende, reichhaltige israelische Küche genießen dürfen – gestalteten wir als inhaltlichen und spirituellen Abschluss. „Wir haben Gottes Spuren festgestellt“ – mit diesem Lied ließen sich die zurückliegenden Tage am besten zusammenfassen. Elisabeth von Lochner und Johannes Kempin hatten übrigens für die Reise ein eigenes Liederheft zusammengestellt, das immer wieder zum Einsatz kam: auf dem Berg der Seligpreisungen, in Tabgha, am Jordan, in der Annakirche … es war eine tolle Gruppe, die innerhalb der wenigen Tage – vielleicht auch zusammengeschweißt durch den gewerkschaftlich-holprigen Auftakt – zu einer wunderbaren Gemeinschaft zusammengewachsen ist. Viele Kontakte bestehen noch heute.
Dieser Bericht – so lang er auch ist – bildet nur wenige Ausschnitte unserer Studienreise ins Heilige Land ab. Vieles fehlt – der Ausflug ins Tent of Nations („Wir weigern uns Feinde zu sein“) im von Israel annektierten Palästinensergebiet, der Besuch der Geburtskirche, Architektonisches zur Al-Aqsa-Moschee, manches Oktogon (achteckig = sehr wichtig!), Christophs großartiger Impuls zur Verklärung am Berg Tabor, Gabrieles Morgenandacht auf dem Dach der Grabeskirche, Astrids plötzliche „Tauferinnerung“ im Jordan, die waghalsige byzantinische Kirchenarchitektur über den Bethesda-Teichen, das „Vater unser“ in 140 Sprachen auf dem Ölberg und das Jaffa-Tor: regelmäßiger Treffpunkt mit unserem Busfahrer, der uns eine Woche lang über Autobahnen, Anstiege, Abhänge und abenteuerliche Wege sicher durch das Land lenkte.
So auch an unserem Abreisetag, als wir über Abu Gosch (einer der Orte, die als biblisches Emmaus verehrt werden) zum Flughafen gelangten. Dort ließen wir ausführliche Befragungen der Sicherheitsmitarbeiter über uns ergehen, konnten schnell einchecken und waren wenige Stunden später wieder zu Hause – verteilt auf die vielen unterschiedlichen Ecken, aus denen wir eine gute Woche vorher zusammenkamen. Was für eine tolle, beeindruckende, inhaltlich und spirituell reiche Reise. Danke an alle, die daran mitgewirkt haben!
Claudius Kroker