Urlaub für die Seele
Dieser Text ist in einer längeren Fassung zuerst in der Lebendigen Seelsorge 73 (2022), Heft 5, 364-369 erschienen.
Johannes Paul II. schreibt in seiner Botschaft zum Welttourismustag 2000: „Der Tourismus könnte zu einem Faktor vorrangiger Bedeutung für den Aufbau einer Welt werden, die der Kooperation zwischen allen offen steht, durch die gegenseitige Kenntnis und das unmittelbare Nebeneinander von unterschiedlichen Realitäten“1. Weiter heißt es, der Tourismus biete eine nützliche Gelegenheit für die Evangelisierung.
Aus heutiger Sicht 2023 liest sich der Satz wie folgt:
Der Tourismus ist zu einem Faktor vorrangiger Bedeutung für den Aufbau einer Welt geworden, die der Kooperation zwischen allen offen steht, durch die gegenseitige Kenntnis und das unmittelbare Miteinander von unterschiedlichen Realitäten.
Das unmittelbare Miteinander von unterschiedlichen Realitäten besteht aus Kooperationen von Kirche, Staat und Gesellschaft. Konkret: Ein starkes Netzwerk bildet sich und wird durch Beziehungspflege aufrecht gehalten.
Die Zusammenarbeit mit den einzelnen christlichen und politischen Gemeinden, mit den Tourist-Informationszentren, den Werbeagenturen und den Medien ist unabdingbar, sowie der Kontakt in den jeweiligen Bereichen mit den Menschen, der hauptausschlaggebend ist.
Und nicht zu vergessen: die Touristen, sie sind die Zielgruppe. Angebote, Programme, Ausstellungen müssen auf sie abgestimmt sein. Das heißt: Gesellschaftliche Trends beobachten, Interessen wecken, Wünsche erfragen, mit ihnen ins Gespräch kommen. Die Gestaltung des Alltags der Urlauberinnen und Urlauber ist so individuell wie ihr Urlaub – eine Herausforderung für die Tourismuspastoral.
Verschiedene Programme werden im Rahmen der Tourismuspastoral angeboten. Von besonderer Bedeutung sind die „Offenen Kirchen“ mit einer Ansprechperson vor Ort. In den Kirchenräumen wird eine herzliche Willkommens-Atmosphäre geschaffen – mit der Möglichkeit eine Fürbitte zu schreiben, eine Kerze anzuzünden, in der Bibel zu lesen, Impulse zu entdecken, mit den Kindern zum Jahresthema zu puzzeln, der Musik zu lauschen, in der Stille zu sein, um zu beten oder um nachzudenken, die Lichtinstallation zu bewundern, die Ausstellung zu betrachten oder auszuruhen bei einer Tasse Kaffee oder Tee. Für die Familien wird zudem ein Escape-Room angeboten. Eltern mit den Kindern lösen spannende Rätsel um das „Wunder Gottes“ herauszufinden. In einem anderen Jahr konnte ein Bibelkrimi gelöst werden. Sehr gut angenommen werden die Taizé-Andachten. Freitags werden die Besucherinnen und Besucher auf den Birgittenweg durch die Stadt Stralsund mit ihren acht Kirchen geführt. Im Anschluss gibt es Kaffee und Gebäck mit interessanten Gesprächen. Ähnlich werden auch die Inseltouren auf Rügen mit dem Bulli zu den Kirchen gestaltet. Das Erleben der Natur auf Rügen oder auf dem Festland sowie Tagespilgertouren mit geistlichen Impulsen stehen ebenso auf dem Programm, wie besonders gestaltete ökumenische Gottesdienste an der Ostsee. In Binz gibt es während der Urlaubersaison im Anschluss an die heilige Messe einen Austausch mit Kaffee. Ob Kultur, Natur, Stille, Gespräche – ein vielfältiges Angebot erwartet die Urlauberinnen und Urlauber.
In der Werbung oder als Aufhänger in der Wirtschaft – der Spruch „Urlaub für die Seele“ ist uns sehr geläufig. Doch was bedeutet der Spruch für die Tourismuspastoral?
Neben dem Wellness-Trend entwickelt sich auch ein Trend hin zu mehr Spiritualität. Der Markt ist voll von esoterischen und ähnlichen Angeboten. Kirche kann hier alternativ sinnstiftend aktiv werden, Hilfe anbieten und so ihre Gaben den Menschen näherbringen. Gott will mit jedem/jeder Einzelnen unterwegs sein und mit ihm/ihr in den Dialog treten – auch im Urlaub. Gott will uns alle teilhaben lassen an seiner Heilsgeschichte, unabhängig von Ort und Zeit. Die Hoffnung besteht, dass alle Menschen, egal ob im Urlaub oder vor Ort wohnend, in der Begegnung mit uns als Tourismuspastoral in der Kirche oder darüber hinaus, einen Moment der Gnade und des Heils erleben. Im Urlaub ist der Mensch in der Regel gelassener, weniger gehetzt und offener für die Begegnung mit Gott oder auch für Fragen, die er sich „zu Hause“ nicht zu stellen traut. So gibt dies der Kirche die Gelegenheit, mit den Menschen, ob glaubend oder nichtglaubend, ins Gespräch zu kommen zu Themen, die sie beschäftigen und bewegen. Als Tourismuspastoral erzählen wir diesen Menschen von Gott und geben Zeugnis von dem, was uns erfüllt, denn „Kirche im Urlaub geht auf den Menschen zu und holt ihn dort ab, wo er sich gerade aufhält. Urlauberseelsorge will den Menschen nicht binden, sondern Möglichkeiten innerhalb einer eng umrissenen Zeitspanne unverbindlich eröffnen. Diese neu gemachten Erfahrungen bieten die Chance, zu Hause vor Ort in Gemeinden, Gemeindegruppen oder kirchlichen Einrichtungen fortgeführt zu werden.“ 2
Zur Tourismuspastoral gehören unbedingt „Offene Kirchen“, denn Kirchenräume verschaffen Transzendenz. Gottesbegegnung ist zwar überall möglich, doch wurden Kirchengebäude eigens für die Begegnung des Menschen mit Gott und die Begegnung Gottes mit dem Menschen geschaffen. Bei geschlossenen Kirchen enthalten wir dem Menschen Gott vor und letztlich auch Gott den Menschen. Menschen nehmen den sakralen Raum anders wahr als einen Museumsraum, auch wenn sie sagen, sie glauben nicht an Gott. Kirchen ziehen Menschen an, besonders auch im Urlaub. Ein Atheist erzählte mir, er ginge gerne in Kirchen, weil er anhand des Baustils, der Innenarchitektur und der Atmosphäre auf die Menschen schließen könne, die die Kirche damals gebaut hätten und die sie heute noch betreiben. Kirche wird zwar als geschichtliches Baudenkmal betrachtet, das aber heute noch seine Wirkung ausstrahlt. „Einfach nur Dasein zu dürfen, ohne dass von mir dafür etwas verlangt wird.“, sagte einmal eine Dame zu mir. Das ist gespürte Gnade Gottes in meinen Augen. Der angebotene Kaffee und ein entstehendes Gespräch runden das „gute Gefühl“ des Kirchenbesuchers ab. Kirche vermittelt: Hier bin ich angenommen, hier darf ich sein. Unerheblich welche Meinung ich vertrete, wie ich mich fühle, ob ich glaube oder nicht. Hier bin ich willkommen.
Einen Augenblick Ruhe genießen, sich hinsetzen, die Lichter in der Kirche meditieren, sich umschauen, eine Kerze anzünden und einem geliebten Menschen oder sogar sich selbst etwas Gutes wünschen. Hoffnung, Glaube und Liebe werden für mich spürbar, wenn ich abends auf den Ständer mit den brennenden Kerzen schaue und am Sonntag die von den Leuten geschriebenen Fürbitten höre. Gott wirkt in dem Menschen, mit dem Menschen und durch den Menschen.
Gemeinschaft erleben, miteinander unterwegs sein, obwohl sich die Leute fremd sind. Wie schnell bricht das Eis, wenn Leute sich gemeinsam auf den Weg machen, sich einander vorstellen und unterwegs Gespräche führen: Egal ob wir Tagespilgertouren gestalten, auf dem Birgittenweg durch die Stadt Stralsund gehen, durch die Natur radeln oder Inseltouren mit dem Bulli unternehmen. Beim Abschluss mit gemeinsamen Essen und Trinken entstehen oft einige tiefgründige Gespräche. „Warum glaubst Du nicht an Gott?“ Nach der Antwort kommt die Gegenfrage: „Und Du, wieso glaubst Du? Hast Du ihn schon erfahren?“ Auch der Austausch über die Entstehung der größeren pastoralen Strukturen ist interessant. „Ihr habt ja die gleichen Probleme wie wir. Wie löst ihr die Situation?“ Einander den Glauben bekennen, seine Haltung zum Ausdruck bringen, in den Dialog kommen, ist für mich wichtig. Dies gilt auch dann, wenn der „Nicht-Glaube“ bekannt wird, die Person aber trotzdem mit uns geht und spricht. Dann bewahrheitet sich der Satz Jesu aus dem Matthäusevangelium: „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.“ (Mt 9, 40)
Evangelisierung wird sichtbar in der Art und Weise, wie die Tourismuspastoral gestaltet wird. Durch kreative Seelsorgearbeit vor Ort soll der Urlaub als eine Dimension menschlichen Lebens mit christlichem Sinn erlebt werden. Gottesdienste, Impulse, Lesen in der Bibel, gemeinschaftliche Unternehmungen, Essen und Trinken, Einzelgespräche. In all den Angeboten wird Gott erfahrbar. Es ist wie mit den Samenkörnern, die ausgesät werden. Ich habe nicht in der Hand, was da entstehen könnte. Das ist eine Angelegenheit zwischen Gott und dem Einzelnen. Der Mensch ist frei in seiner Entscheidung und in seinem Handeln gegenüber Gott. Wir alle, die wir in der Tourismuspastoral engagiert sind, wollen ermöglichen, dass wesentliche Dinge im Leben entdeckt werden. Wir versuchen den Menschen wertfrei zu begegnen und die Samenkörner mitzugeben. Die frohe Botschaft findet ihren Weg in die Herzen.
Eine „Offene Kirche“ heißt die Menschen willkommen und ermöglicht eine Gottesbegegnung, ob in der Stille, im Gespräch oder in dem gestalteten Gottesdienst. Nicht nur der Körper kommt zur Ruhe, sondern auch die Seele. So wie der Körper im Urlaub kulinarisch versorgt wird, erhält auch die Seele ihre geistliche Nahrung. Und ich wünsche mir, dass die Seele Gott trifft und diese Begegnung im Alltag weiterträgt. Das bedeutet für mich: Urlaub für die Seele.
Als Tourismuspastoral sind wir immer Seelsorgende. Menschen kommen mit ihren Sorgen und Nöten, brauchen Trost und Aufmunterung. Die Urlauberinnen und Urlauber nutzen zudem auch den Vorteil der Anonymität. Als Fremde kommen sie zu einem Fremden, dem man sich traut, Fragen zu stellen.
Die Einträge in den Gästebüchern zeigen, wie dankbar die Menschen sind. Sie nehmen sich die Zeit über Situationen ihres Lebens nachzudenken und nutzen die Chance, darüber zu reden: mit Gott und mit uns.
Ich wünsche Ihnen einen erholsamen Urlaub mit Gottes Segen.
Marion von Brechan ist Referentin für die Tourismuspastoral im Erzbistum Berlin. Sie ist Absolventin von Theologie im Fernkurs.
1 https://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/messages/tourism/documents/hf_jp-ii_mes_20000801_giornata-mondiale-turismo.pdf (Abgerufen am: 20.03.2023)
2 https://www.katholisch.de/artikel/32-urlaub-und-tourismus (Abgerufen am: 23.03.2023)