Erwachsenenbildung heute

Gedenken an Prälat Josef Pretscher - von 1968 bis 1999 in der Domschule tätig

Am 29. November 2016 jährte sich zum zehnten Mal der Todestag von Prälat Josef Pretscher. Die Domschule Würzburg und speziell Theologie im Fernkurs verdanken ihm viel. Seit 1968 war er hauptamtlich in der Domschule tätig und entwickelte die von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen theologischen Fernkurse maßgeblich mit. Von 1972 bis 1999 war er Mitglied des Leitungsteams der Domschule, von 1974 bis 1998 zugleich Leiter der neu errichteten Hauptabteilung Außerschulische Bildung im Bischöflichen Ordinariat Würzburg. Anlässlich seines 10. Todestags reflektierte sein Nachfolger in der Leitung der Hauptabteilung, Domkapitular Dr. Helmut Gabel, bei einer Gedenkfeier Prälat Pretschers Beziehung zur Erwachsenenbildung.

 

Helmut Gabel

 

Leidenschaft für die Erwachsenenbildung - Josef Pretscher zum 10. Todestag

„Wie schlachte ich ein Schwein?“ Diesen Titel einer Erwachsenenbildungsveranstaltung fand Josef Pretscher einst im Programm eines bayerischen Kreisbildungswerks. Wer mit ihm zu tun hatte, kann sich lebhaft vorstellen, in welchem schalkhaften Ton und mit welcher unschuldig-schelmischen Miene er diese Ankündigung zitierte. Der Fund bestätigte ihn in seiner Überzeugung: Es ist gut, dass wir in der Diözese Würzburg keine Kreisbildungswerke gegründet haben. Erwachsenenbildung muss doch Niveau haben. Bildung muss doch mehr sein als Anleitung zum Schweineschlachten.

Aber was sollte Erwachsenenbildung nach seiner Ansicht sein? Ich möchte sein Verständnis von Erwachsenenbildung in sechs Punkten umreißen:

 

1. Für Josef Pretscher war Erwachsenenbildung Diakonie, Dienst am Menschen. Ich erinnere mich an eine Diskussion, in der es um das Profil kirchlicher Erwachsenenbildung ging. Er forderte vehement: Auf keinen Fall die Breite des Angebots beschneiden, auf keinen Fall Erwachsenenbildung engführen auf Verkündigung! Erwachsenenbildung ist Dienst am Leben der Menschen in all seinen Facetten. Dabei schätzte er keineswegs den Verkündigungsauftrag gering: Ich habe auch einmal erlebt, wie er einen Referenten heftig attackierte, der seinem Eindruck nach nur noch die diakonische Dimension der Kirche sah. Ihm schärfte er ein: Kirche hat auch prophetisch-provokativ eine Botschaft zu verkünden, sei es gelegen oder ungelegen.

Ich bin überzeugt, dass Bildung deshalb auch heute in der Kirche wichtig ist. Sie denkt nämlich vom Menschen her: Wo stehen Menschen heute, was suchen sie, was brauchen sie? Was hat das mit dem Evangelium zu tun? Wie kann man sie unterstützen, dass ihr Leben gelingt und dass sie initiativ und verantwortungsbewusst Gesellschaft und Kirche gestalten? Ich bin überzeugt: Wo Kirche diese Fragen in den Mittelpunkt stellt, braucht sie keine Angst zu haben, dass sie nicht mehr gefragt ist.

 

2. Eine solche Erwachsenenbildung - so sah es Josef Pretscher - muss offen sein für alle, auch für kritisch Fragende, auch für Querdenker, auch für Menschen anderer Überzeugungen. Ein guter Bekannter erzählte mir, dass Josef Pretscher für ihn in seiner Jugend und in seinen jungen Erwachsenenjahren sehr wichtig war. Weil er bei ihm den Eindruck hatte: Ich kann mit jeder Frage und mit jedem Einwand kommen. Josef Pretscher nimmt mir keine kritische Frage übel, und er tut keinen ernsthaften Einwand als unsinnig ab, sondern er setzt sich mit ihm auseinander.

Ich bin überzeugt, dass auch heute Erwachsenenbildung in unserer Kirche wichtig ist - gerade wegen dieser Offenheit, wegen dieser Niedrigschwelligkeit, die erlaubt, dass jeder Mann und jede Frau, gleich welcher Auffassung, welcher Religion, welcher Weltanschauung, kommen und sich ins Gespräch einbringen kann.

 

3. Dazu gehört ein drittes Stichwort: Dialog. Dialog bedeutet wechselseitiges Aufeinander-Hören und Voneinander-Lernen. Dass diese Grundhaltung innerhalb der Kirche, aber auch im Verhältnis von Kirche und Gesellschaft fundamental wichtig ist, davon war Josef Pretscher überzeugt. Er hat 2004 im Aschaffenburger Martinushaus beim Martins-Patrozinium eine Predigt gehalten, in der er den heiligen Martin recht eigenwillig gedeutet hat:

„Da ist noch die andere Hälfte dieser Legende, von der meistens nicht die Rede ist: Dass nun wohl beide froren … . Auch das könnte man noch gut in eine Predigt bekommen … : Bringt wirklich ein Opfer, und gebt nicht nur, was ihr ohnehin nicht braucht. Damit wäre man mit einer Predigt zum Martinsfest eigentlich am Ende.

Aber da ist, meine ich, noch etwas … : Das Martinushaus beherbergt ja nur zum einen Teil die Caritas, … die für die leibliche Not der Menschen zu sorgen hat. Zu seinem größeren Teil ist dies aber ein Bildungshaus … . Es hat nicht zuerst die leiblichen Werke der Barmherzigkeit zu üben, sondern … die geistigen … . Und dabei zeigt sich … , dass es der Kirche geht wie dem heiligen Martin: dass sie zwar Gutes tut, dass sie dabei aber selbst ins Frieren kommt. Wir können es an einigen dieser guten Werke ausprobieren:

Die Unwissenden lehren: … Die Kirche lehrt … uns Menschen in jedem Glaubensbekenntnis. Aber muss die Kirche nicht auch still und stumm werden vor dem Geheimnis Gottes? Weiß die Kirche etwas zu sagen darüber, warum Gott so unendliches Leid in der Welt zulässt, warum so viele Gebete anscheinend unerhört bleiben, warum manche junge Menschen so bald sterben müssen und warum mancher alte Mensch, der es doch möchte, nicht sterben kann? Die Kirche muss in ihrer Verkündigung von Gott wohl öfter sagen: Ich weiß es nicht, als dass sie sagen kann: Genau so ist es. Die Kirche selbst friert, wenn sie von Gott spricht, wie Martin damals gefroren haben mag.

Die Betrübten trösten. Oh ja, die Kirche hat manchen Trost bereit für Menschen, die traurig sind. … Aber wenn sie dies sagt, muss sie doch auch ehrlich sagen: Ich tröste nicht nur, ich mache doch auch selbst traurig. Wenn ich eines kirchlichen Gesetzes wegen einem den Tisch des Herrn verweigere, wenn ich einer kirchlichen Vorschrift wegen ganzen Gemeinden den Priester vorenthalte, wenn ich allen Menschenrechten zuwider Frauen in der Kirche benachteilige: Betrübe ich dann nicht oft genug Menschen … ?

Und den Zweifelnden recht raten? Wieder tut die Kirche gut, heutigen Menschen zu helfen, Orientierung zu finden im Wirrwarr unserer Zeit. Aber sie muss auch zugeben, dass sie nicht das Rezept hat, Frieden auf diese Welt zu bringen … . Mitten in ihren Bemühungen, Zweifelnden zu helfen, fällt sie doch oft genug selbst in Zweifel. Mitten in den Bemühungen, andere zu wärmen, friert sie doch selbst.“

Ich glaube, dass solche Gedanken heute so wichtig sind wie vor zwölf Jahren. Wir sind nicht einfach die Reichen und Gebenden, die die Botschaft haben und sie den anderen, den Defizitären, weitergeben. Sondern wir lernen durch den anderen, mit dem wir in Kontakt kommen. Wir lernen diese Botschaft selber tiefer verstehen. Für diesen Zusammenhang steht - nicht nur, aber gerade auch - die kirchliche Erwachsenenbildung.

 

4. Für Josef Pretscher war Erwachsenenbildung wichtig, weil sie etwas mit Reflexion und Rationalität zu tun hat. Als ich noch Spiritual am Priesterseminar war, schien es mir, dass er das Bild hatte: Spiritual sein, das heißt ermutigen, trösten und bestärken. Als „Händchenhalten“ hat er es einmal karikiert. Die Theologieprofessoren an der Uni schien er viel mehr zu schätzen. Sie waren es, die in seinen Augen die Studenten zum Nachdenken, Umdenken und Querdenken herausforderten. Er selber hat ja seine eigene, ganz tiefe Umdenk-Erfahrung gemacht. Er sagte mir einmal: Ihr Jüngeren könnt euch gar nicht vorstellen, was das für eine Umstellung damals beim Konzil war. Wir mussten total neu denken lernen, alles aus einem neuen Blickwinkel anschauen! Dafür stand für ihn auch Bildung, und dafür steht sie auch heute: Mut haben, die Dinge zu reflektieren, kritisch zu beleuchten und neu zu denken.

 

5. Dieser Mut zum Denken hat etwas zu tun mit Mündigkeit. 1991 stellte Josef Pretscher ein Impulspapier mit dem Titel „Schritte zu einem Pastoralkonzept in der Diözese Würzburg“ zur Diskussion. Darin schreibt er an herausragender Stelle: „Es ist alles zu fördern, was die eigene Glaubensreflexion fördert, was dem Einzelnen hilft, den allgemeinen Glauben der Kirche zu seinem eigenen Glauben zu machen.“ Josef Pretscher war überzeugt: Wenn es um die Mündigkeit im Glauben geht, leistet gerade die Bildung einen wertvollen Beitrag.

 

6. Und schließlich: Erwachsenenbildung - so war Josef Pretscher überzeugt - muss ideenreich, kreativ und originell sein. Er selber hat in vielfacher Weise seine eigene Originalität eingebracht. Und ich glaube, er hätte in diesen Jahren seine Freude an Domschul-Projekten wie „Anders-Orte“, „Im Gegenüber“ oder „Flügelschläge“, an Kooperationen mit Theater und Kino und verschiedensten gesellschaftlichen Institutionen.

 

Ich habe den Eindruck: Wo all diese Punkte - Dienst am Menschen, Offenheit, Niedrigschwelligkeit, Dialog, Reflexion, Rationalität, Mündigkeit, Originalität und Kreativität - in der Kirche als unwichtig betrachtet werden, da hat es die Erwachsenenbildung schwer. Wo sie hochgehalten und geschätzt werden, da hat sie einen guten Stand. Ich wünsche uns allen, dass es uns gelingt, diese Momente zu leben und sie in unserer Zeit zeitgemäß zu entfalten - so wie es Josef Pretscher in der Zeit seines Wirkens getan hat.  

 

Domkapitular Dr. Helmut Gabel ist Leiter der Hauptabteilung IV (Außerschulische Bildung) des Bischöflichen Ordinariats im Bistum Würzburg. Er ist seit 1979 Priester in der Diözese und gehört seit 2001 dem Domkapitel an.