Buchempfehlung "Alles Materie - oder was?"

Ein aktueller Beitrag zur unendlichen Frage "Wer hat Recht?" – Naturwissenschaft und Religion

Hans-Dieter Mutschler, Alles Materie – oder was? Das Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion, Würzburg (Echter) 2016, 208 Seiten

Thomas Franz

Die Naturwissenschaften sind zweifelsohne große Errungenschaften der Menschheitsgeschichte. Ihre Theorien sind intellektuelle Giganten, ihre Auswirkungen auf unsere alltägliche Lebenspraxis omnipräsent. Kaum jemand würde auf die technischen Möglichkeiten etwa der modernen Medizin verzichten – und doch sind die Naturwissenschaften nicht unhinterfragt. Ihren eigenen Siegeszug haben die Naturwissenschaften begonnen, indem sie die den theoretischen Gehalt religiöser Überzeugungen hinterfragt und oft – vermeintlich – ad acta gelegt haben. Zwischen Naturwissenschaft und Religion herrscht seit Jahrhunderten ein spannungsreiches, wenn nicht gar feindliches Verhältnis. Es ist keine Frage, dass die Religion in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend ins Hintertreffen gerät.

Der Philosoph Hans-Dieter Mutschler gehört zu den wenigen Vertretern seiner Zunft, die eine positive Verhältnisbestimmung von Naturwissenschaft und Religion, insbesondere die Tradition des Christentums, im Blick haben. Dazu gehört einerseits die Kritik an einer überzogenen theoretischen Leistung der Naturwissenschaften im Hinblick auf ihr Alleinerklärungsmonopol, anderseits aber auch die Kritik an der Religion, die meint, mit vorwissenschaftlichen Konzepten den Naturwissenschaften Paroli bieten zu können.

Das vorliegende neueste Werk von Mutschler richtet sich gegen die „kollektive Egozentrik“ der Naturwissenschaften, die gesamte Wirklichkeit materialistisch erklären zu wollen. „Es geht um eine Kritik der Ideologie, wonach alles im Universum nur eine Zusammenballung von Atomen sei und wonach wir über alles hinreichend Bescheid wissen, wenn wir diese Zusammenballung verstanden haben. In Wahrheit lässt sich die Welt nicht allein 'von unten her' begreifen. Es ist wohl wahr, dass die Materie alles trägt, aber sie bestimmt deshalb noch längst nicht alle höheren Inhalte.“ (11f) Mutschler unterscheidet einen klugen und primitiven Materialismus. Letztere kennzeichnet den sog. „Neuen Atheismus“.

An unterschiedlichen Themenfelder wie etwa der Evolution des Menschen oder der Leib-Seele-Debatte zeigt er die Reichweite und Grenzen des Materialismus, dessen drei Dogmen er gleichermaßen darstellt wie in ihrer ideologischen Überzogenheit kritisiert. Mutschler bleibt allerdings nicht bei der Kritik stehen, sondern entfaltet in den beiden letzten Kapiteln „Glaube und Wissenschaft“ und „Theologie der Natur“ eine ganzheitliche Sicht der Wirklichkeit, in der die Religion ihren eigenen Platz auch theoretisch beanspruchen kann.

Mutschler verzichtet gänzlich auf Anmerkungen, dennoch zeugt diese Buch von einer breiten Kenntnis der aktuellen Debatte. Daher ist die Lektüre nicht voraussetzunglos. Wer sich für das Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion sowie den damit verbundenen philosophischen Fragen interessiert, sollte jedoch unbedingt zu diesem Buch greifen. Um der „kollektiven Egozentrik“ zu entgehen, werden z.B. auch andere kulturelle Erfahrungen herangezogen.

Nicht zuletzt hat Mutschler einen anregenden, mitunter witzigen Schreibstil. Abschließend hierfür eine Kostprobe. „Wir sehen hier, was wir noch öfter sehen werden: Es ist gar nicht so leicht Atheist zu sein. Man muss eben sehr viel glauben, um an nichts mehr zu glauben.“ (51)