Buchempfehlung "Glaube und Zweifel"

Eine theologische Verortung des Zweifels für den (glaubenden) Menschen von heute

Hans-Georg Gradl, Mirijam Schaeidt, Johannes Schelhas, Werner Schüßler, Glaube und Zweifel. Das Dilemma des Menschseins, Würzburg (Echter) 2016, 160 Seiten

Thomas Franz

Wer glaubt, zweifelt nicht! Mit diesem markanten Ausspruch soll der Gegensatz zwischen Glaube und Zweifel deutlich gemacht werden, der auf beiden Seiten – für Gläubige wie für Zweifler – Gültigkeit beanspruchte. Es geht nämlich auch umgekehrt: Wer zweifelt, glaubt nicht! Dass dieser Gegensatz nicht generell gilt, sondern dahinter ein bestimmtes traditionelles Verständnis von Glaube, nämlich im Sinn eines Für-wahr-Halten von Sachverhalten und entsprechenden Aussagen steht, machen die drei Autoren – Professoren der Theologischen Fakultät Trier – und die Autorin – Priorin des Benediktinerinnen-Klosters Bethanien in Trier in diesem lesenswerten Band deutlich.

Glaube in einem heutigen Verständnis meint primär eine existentielle Haltung und Lebensform des Menschen, die nicht abgeschlossen werden kann, sondern in welcher der Mensch zu sich und Gott unterwegs ist. Zu diesem Unterwegs-sein gehört der Zweifel konstitutiv dazu. Zweifel ist kein Unglaube, sondern ein Moment am Glauben. „Ein völlig unerschütterlicher Glaube ist nicht selten Götzenglaube, und Götzenglaube führt letztlich zu Fundamentalismus und Fanatismus.“ (53)

Diese Aussage belegt der Philosoph Werner Schüßler mit wichtigen philosophischen und theologischen Denkern des 20. Jahrhunderts wie Karl Jaspers, Peter Wust und Paul Tillich und findet auch bei Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. und Reinhard Kardinal Marx eindeutige Belege für eine existentielle Sicht des Glaubens, in der der Glaube kein fester Besitz an Wahrheiten, sondern das lebenslange, von Zweifeln durchsetzte Suchen danach ist. Glaube schließt Zweifel nicht aus, sondern wesentlich ein.

Der Blick des Neutestamentlers Hans-Georg Gradl geht nach einer Analyse des weiten Begriffsfelds von Zweifel auf die beiden Stellen ein, in denen der klassische griechische Begriff für „zweifeln“ vorkommt: „Das Neue Testament erklärt nicht theoretisch oder abstrakt, was der Zweifel ist. Es sind vor allen Dingen Bilder und Porträts von Personen, mit denen das Neue Testament dem Zweifel ein Gesicht gibt.“ (59) Das Portrait des Petrus in der Erzählung vom Seewandel Jesu (Mt 14,22-33) und die Begegnung der Jünger mit dem Auferstandenen (Mt 28,16-20) zeigen zusammen mit der klassischen Stelle vom Zweifler Thomas (Joh 20,24-29) – auch wenn dort der Begriff nicht vorkommt – die positive, zukunftsorientierte Rolle des Zweifels für einen vertieften Glauben auf.

Der Beitrag des Dogmatikers Johannes Schelhas erschließt die theologischen Koordinaten des Zweifels anhand dogmatischer Glaubensaussagen und macht deutlich, wie im Zweifel die Gottesfrage verdunkelt, aber auch zum Vorschein kommen kann. Der Zweifel kann, muss aber nicht zu Gott führen. „Der Zweifel an Gott erwirkt folglich Menschsein vor Gott. Seine reinste geschöpfliche Form und Ausdrucksgestalt findet das Zweifeln an Gott in der Mutter Jesu.“ (129)

Abschließend zeigt die Benediktinerin Sr. Mirijam Schaeidt OSB die spirituelle Spannung zwischen dem Glauben als „Quelle des Glücks“ und der „rettenden Stunde des Zweifels“ auf und buchstabiert den Zweifel an den drei göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe durch. Zwischen dem aktuellen Verschwinden des Glaubens in einer Kultur des Zweifels gilt es, das Neue zu entdecken.

Diese kleine Theologie des Zweifels bietet für Gläubige wie Zweifler überraschende Entdeckungen des Glaubens.