Theologische Bildung im Erzbistum München und Freising

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„Wer auf der Stelle tritt, kann nur Sauerkraut fabrizieren.“ Dieses Bonmot von Peter Ustinov bringt nicht nur die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens pointiert auf den Punkt. Es formuliert ebenso einen Impuls für das religiöse Lernen. Dieses ist mit Kindergarten und schulischem Religionsunterricht nicht abgeschlossen. Und wie die Doppelstruktur von Schule und Gemeindekatechese zeigt, sind zudem verschiedene Dimensionen des Lernens oder der Entwicklung zu unterscheiden, die ihren je spezifischen Ort haben. Spirituelle Entwicklung, katechetische Kompetenz, liturgische Performanz oder theologische Bildung benötigen je andere Formen, Foren und Methoden.

Dementsprechend bietet die Erzdiözese München und Freising sehr verschiedene Arten und Orte religiösen Lernens an. Die Fachstelle Theologie im Fernkurs, die im Ressort Bildung des Erzbischöflichen Ordinariats München angesiedelt ist, ist ein solches Angebot, das den Schwerpunkt auf die theologische Bildung legt. Die hier angebotene theologische Bildung ist eine spezifische Form der Selbstbildung, der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Sie spricht primär die kognitive Dimension an, das intellektuelle Durchdringen all dessen, was die christliche Religion ausmacht. Von dort kann sie dann weiter- und auch in andere Persönlichkeitsbereiche und Handlungsfelder hinein wirken.

Dass eine solche Bildung nicht einer kleinen Gruppe vorbehalten, sondern ein offenes Angebot an alle, auch an Nichtkatholiken ist, ist Ausdruck eines konziliaren Kirchenverständnisses. Für eine Kirche, die sich als eine Gemeinschaft berufener und mündiger Christinnen und Christen versteht, ist die Entwicklung der theologischen Sprach-, Reflexions- und Urteilsfähigkeit der Glaubenden ein wesentliches Moment ihres aggiornamento. Auch für das gesellschaftliche Zusammenleben kommt der theologischen Bildung ein wichtiger Stellenwert zu. In einer Gesellschaft, die auch in religiöser Hinsicht zunehmend pluraler und zugleich zunehmend sprachloser wird, lässt sich das Gespräch über religiöse Themen gerade nicht auf einige Expertinnen und Experten begrenzen. Vielmehr gewinnt das gesellschaftliche Miteinander, wenn die Kompetenz zu einem fundierten Austausch über Glaubenswelten weit verbreitet ist. Kirchlich getragene theologische Bildung ist somit ein wichtiger und wertvoller Bestandteil ihres diakonischen Auftrags, den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Allgemeinen und den kulturellen Fortschritt im Besonderen zu fördern (vgl. Gaudium et spes 53-62).

Was der Münchener Erzbischof Kardinal Marx anlässlich einer Tagung über die universitäre Theologie sagte, gilt für den theologischen Bildungsauftrag der Kirche allgemein:

„Wir können uns eine Glaubensgemeinschaft nicht vorstellen ohne eine Selbstreflexion auf wissenschaftlichem Niveau. Das ist für die Zukunft der Diskussion über das, was Religion ist und wie ein Dialog der Religionen aussehen kann, von außerordentlicher Bedeutung. […] Das ist ein Auftrag an uns. Wir müssen als Kirche Theologie betreiben, fördern, voranbringen, sodass sie wirklich auf Augen- und Denkhöhe mit allen Wissenschaften bestehen bleibt.“

Ein personales Angebot

Das von der Arbeitsstelle Theologie im Fernkurs an der Domschule Würzburg im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz getragene theologische Fernstudium wird schon lange von der Erzdiözese München und Freising unterstützt. Es ist ihr ein Anliegen, das Studium bei Theologie im Fernkurs als eine besondere Art der außerschulischen theologischen Erwachsenenbildung vielfältig zu begleiten und zu fördern. Dazu wurde 2016 schließlich eine eigene Fachstelle eingerichtet. Die wichtigste Form, um zum Gelingen des Studiums beizutragen, ist das personale Angebot. Dieses umfasst:

  • Studienberatung, im Einzelfall auch zu inhaltlichen Fragen oder zur Hausarbeit,
  • Leitung von Begleitgruppen,
  • Organisation und Leitung von Studientagen,
  • Praktikumsbetreuung,
  • pastoral-praktische und spirituelle Fortbildungen im Rahmen der studienbegleitenden diözesanen Ausbildung angehender Gemeindereferentinnen und Gemeindereferenten, Religionslehrerinnen und Religionslehrer im Kirchendienst und Ständiger Diakone.

Ergänzt wird das personale Angebot durch finanzielle und organisatorische Aufwendungen, etwa die Finanzierung der Studientage und der Begleitzirkel, die kostenfrei angeboten werden, damit die individuelle sozioökonomische Lage nicht zu einem Hemmnis wird, sowie Zuschüsse zu den Kursgebühren für berufsorientiert Studierende. Und auch die intensive Werbung vor Ort muss organisiert und finanziert werden.

Begleitung vor Ort

Konkret gestaltet sich die Bildungsarbeit der Münchener Fachstelle folgendermaßen: Zum Grundkurs Theologie und zum Aufbaukurs Theologie werden Begleitgruppen angeboten, die in einem Zeitraum von etwa anderthalb Jahren alle 24 Lehrbriefe durcharbeiten. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen treffen sich außerhalb der Schulferien in einem zwei- bis dreiwöchigen Turnus zu einem 90-minütigen Abendtermin. Die Seminare finden in einem Konferenzraum im zentral gelegenen und frisch renovierten Verwaltungsgebäude der Erzdiözese statt. Da sich die Teilnehmenden bei Theologie im Fernkurs viermal pro Jahr einschreiben können, werden die Kurse offen geführt. Jede und jeder kann jederzeit einsteigen; und jede und jeder kann in ihrem und seinem Tempo studieren. Allerdings wird, sofern möglich, auf eine regelmäßige Teilnahme Wert gelegt, damit die Studierenden zu einer Lerngruppe zusammenwachsen können, wodurch der individuelle Studienfortschritt deutlich verbessert und bereichert werden kann. Dies kann dann beispielsweise in eine selbstorganisierte gemeinsame Vorbereitung auf die Prüfung münden, was nicht nur den Lernerfolg erheblich steigert, sondern ebenso den Spaß.

Seit knapp drei Jahren ist die Nachfrage im Grundkurs Theologie so stark, dass zwei Seminargruppen parallel angeboten werden. Auch die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des 2016 gestarteten Kurses Basiswissen Theologie können die für sie passenden Sitzungen der Grundkurs-Begleitgruppe besuchen. Deren Leitung liegt gegenwärtig bei Dr. Jochen Ostheimer, dem Leiter der Fachstelle Theologie im Fernkurs im Erzbischöflichen Ordinariat München. Die Begleitgruppe zum Aufbaukurs Theologie wird von Dr. Hans Anzenberger moderiert, der neben seiner Tätigkeit als Leiter einer Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle seit nunmehr 18 Jahren die Begleitgruppenarbeit von Theologie im Fernkurs tatkräftig unterstützt. Im kommenden Zyklus, der zum Sommersemester 2018 beginnt, tauschen die beiden Kursleiter ihren Aufgabenbereich. 

Zusätzlich zu den regelmäßigen Seminarsitzungen werden pro Jahr etwa drei Studientage veranstaltet, zu denen Fachexpertinnen und Fachexperten eingeladen werden. Inhaltlich decken sie die ganze Breite der Theologie ab. Teils werden aktuelle Themen aufgegriffen, etwa das 500-jährige Jubiläum der Reformation, teils grundlegende dogmatische Traktate wie die Trinitätstheologie oder zentrale theologisch-ethische Themen wie das Verhältnis von objektiven Normen und persönlichem Gewissen. Die Studientage werden in der Regel eigenständig, teils auch in Zusammenarbeit mit anderen kirchlichen Bildungsträgern durchgeführt. Darüber hinaus wird regelmäßig ein Kurs zur Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten angeboten, der sich reger Nachfrage erfreut. Zu den Referierenden für diesen Kurs zählen Pastoralreferenten und Pastoralreferentinnen des Erzbistums, die selbst gerade eine Doktorarbeit verfassen, oder wissenschaftliche Mitarbeitende an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München, d.h. Personen, die sich beruflich und wissenschaftlich mit den Herausforderungen einer Hausarbeit wie etwa den Feinheiten des Zitierens intensiv befassen. Die primäre Zielgruppe der Studientage sind die Teilnehmenden im Grundkurs Theologie. Häufig melden sich aber auch Interessierte aus den anderen Kursen an.

Da die beiden berufsorientierten Kurse, der Religionspädagogische und der Pastoraltheologische Kurs, mit Praktika verbunden sind und spezifisch auf die berufliche Tätigkeit vorbereiten, liegt die Begleitung der Studierenden in diesem Abschnitt im Kompetenzbereich der für die jeweilige Ausbildung zuständigen Fachstellen des Ordinariats.

Im eigenen Tempo und mit eigenen Zielen gemeinsam lernen

Das Spektrum der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist bunt gemischt, was Alter, Geschlecht, formalen Bildungsstand oder kirchliches Engagement betrifft. Zudem finden sich immer wieder einzelne Studierende, die einer anderen christlichen Konfession oder einer anderen Religion angehören und sich bewusst mit der katholischen Theologie auseinandersetzen wollen. Einige beginnen ihr Studium mit der klaren Zielsetzung, beruflich in der Kirche tätig zu werden. Andere wollen ihrem ehrenamtlichen Engagement eine breitere Basis geben. Manche wollen ihr Wissen vertiefen und das eigenständige Denk- und Urteilsvermögen in religiösen Angelegenheiten schärfen. Sie wollen, wie einmal ein Teilnehmer prägnant formulierte, einordnen können, ob der Pfarrer am Sonntag das Richtige gepredigt hat. Und bei manchen ist das Ziel offen. Alle aber genießen die hohe zeitliche Flexibilität, die ihnen das Fernstudium ermöglicht.

Wie im Bildungsbereich üblich, findet nicht jeder, was er bzw. sie sich erwartet. Und selbstverständlich entstehen Enttäuschungen, wenn Berufspläne nicht in Erfüllung gehen. Im Ganzen aber beenden die meisten Teilnehmenden ihren theologischen Fernkurs bereichert um viel Wissen, vor allem aber um neue Weisen des theologischen Denkens und neue Perspektiven auf das Religiöse.

Dabei ist die Bedeutung des Miteinander-Diskutierens und Miteinander-Voranschreitens in den Begleitgruppen von nicht zu unterschätzendem Wert. Sprachfähigkeit lässt sich nur in der konkreten Sprechpraxis einüben. Erst wenn man anderen die eigene Deutung plausibel machen muss, wenn man wie der äthiopische Kämmerer mit der Frage konfrontiert wird: „Verstehst du auch, was du liest?“ (Apg 8,30), merkt man, wie viel man wirklich erfasst und begriffen hat und welches Ausdrucksrepertoire man beherrscht. Die Begleitgruppen als gemeinsame Studiergruppen bieten einen Rahmen, um Annahmen und Sichtweisen auf Augenhöhe zu diskutieren, sodass die Perspektivenvielfalt nicht als Bedrohung der eigenen Glaubensfundamente, sondern als Bereicherung der eigenen Glaubenswelt erlebt werden kann. Der Austausch mit Gleichgesinnten hilft in den nicht ausbleibenden Motivationskrisen, wenn Arbeits- oder Familienleben kaum noch Zeit für die Lektüre des Lehrbriefs lassen. Das Eintauchen in neue Bedeutungswelten schweißt zusammen. Man weiß sich verbunden, wenn man gemeinsam darum ringt, eine schwierige Formulierung im Lehrbrief oder ein in der heutigen Denkwelt sperriges Theologumenon eines antiken Kirchenvaters zu verstehen. Die langjährige Erfahrung mit Seminargruppen in München zeigt, dass es ein großer Gewinn ist, die Konzentriertheit der Lektüre der Lehrbriefe mit einem anregenden, manchmal vielleicht auch irritierenden Austausch in einem Begleitzirkel zu ergänzen.

Ob mit oder ohne Berufsziel – die Studierenden schätzen die gute fachliche Weiterbildung und den engagierten Diskurs zu theologischen Themen ebenso wie das gute persönliche Miteinander, das gelegentlich über die Begleitgruppen hinaus bestehen bleibt.

Jochen Ostheimer