Kunst- und Aktionsprojekte von Theologie im Fernkurs-Absolventen in München

Theologie im Fernkurs der Domschule Würzburg ist kein universitäres Theologiestudium, bietet aber ausgezeichnete theologische Grundlagen für anspruchsvolle Tätigkeiten und Aktivitäten. Die Motivationen der Studierenden im Grund- und Aufbaukurs sind sicher sehr individuell. Bei vielen taucht während des Studiums und vor allem während der Prüfungsphasen aber schon der Gedanke auf: Warum mache ich das eigentlich? Der Zeitaufwand ist ja erheblich! Was will ich später mit diesem theologischen Fundament tun? Die einen entscheiden sich für weitere Kurse im pastoral- oder religionspädagogischen Bereich, andere entscheiden sich für Umsetzungen in ihren jeweiligen Lebensbereichen. Viele lassen sich auch von dem Bibelvers leiten „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert“ (1 Petr 3,15).

Im Folgenden wird von zwei Kunst- und Aktionsprojekten berichtet, an denen Absolventen des Würzburger Fernkurses beteiligt waren. Hierbei sollten Mitmenschen zu tieferem Nachdenken über wesentliche Sinn- und Lebensfragen angeregt werden. Bei Bedarf bestanden auch Angebote für weiter- und tiefergehende Gespräche.

Aktionsprojekt „Before I die“

Das internationale Projekt „Before I die“ der Künstlerin Candy Chang wurde vom 5. bis 10. März 2018 in München realisiert. Passanten in der Fußgängerzone sollen „im Vorbeigehen“ angeregt werden nachzudenken, was ihnen vor ihrem Tod noch wichtig ist. Alltägliche Prioritäten sollen vor dem Hintergrund der Begrenztheit des Lebens reflektiert werden. Organisiert wurde das Projekt von einer GCL-Gruppe (Gemeinschaft christlichen Lebens; zwei der Mitglieder, Hans-Georg Frank und Peter Hügelmeyer sind auch Studierende des Fernkurses), unterstützt wurde es von der GCL München, der Erzdiözese München und Freising und den Jesuiten von St. Michael.

„Before I die I want…“ und „Bevor ich sterbe, will ich…“ – auf schwarzen Tafelwänden stehen diese Satzanfänge. Dahinter ist viel Platz, der erfahrungsgemäß nicht lange frei bleibt. Mit bunten Kreiden kann jeder den Satz vervollständigen, ein Bild dazu malen oder bereits bestehende Sätze kommentieren. Wenn die Tafeln voll sind, werden sie abgewischt, um wieder neu beschrieben werden zu können. Vorher werden Fotos gemacht.

Normalerweise kommen solche Gedanken nur an Knotenpunkten des Lebens auf. Bei diesem Projekt ist die Spannung zwischen dieser existenziellen Frage und der konsumorientierten Umgebung in der Einkaufszone durchaus gewollt; es ist auch eine Irritation der Passanten. Diese reagierten aber überwiegend positiv.

Der Sprecher der Gruppe, Hans-Georg Frank, im Zivilberuf Medizinprofessor in München: „Dieser 'Stolperstein' mitten in der Shopping-Meile möchte einen kurzen Moment des Nachdenkens provozieren.“ Es gehe darum, dass Leben allerorten und jederzeit – nicht erst dann, wenn der Tod schon fast im Terminkalender stehe – aus dem Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit mit Sinn erfüllt und gestaltet werden kann. Wenn jemand ein Gespräch suchte, standen dafür Ansprechpartner zur Verfügung - für seelsorgerische Gespräche auch Jesuitenpatres von St. Michael.  

Die Künstlerin Candy Chang schuf das Original im Jahr 2011 an einem verlassenen Haus in New Orleans, nachdem sie einen geliebten Menschen verloren hatte. Ihr fiel auf, wie sehr Gespräche über den Tod vermieden werden. Um darüber ins Gespräch zu kommen, strich sie eine Hauswand mit schwarzer Tafelfarbe und schrieb darauf: „Before I die I want to …“ Mehr nicht. Nach einem Tag war die Wand voll mit den Träumen und Gedanken der Passanten. „Before I die I want to … sing for millions, plant a tree, see my daughter graduate, abandon all insecurities, be completely myself“ Die Anonymität des öffentlichen Raums erlaubte es auch zurückhaltenden Menschen, ihre persönlichen Vorstellungen und Wünsche mit anderen zu teilen.

Womit Chang nicht gerechnet hatte, war die weltweite und anhaltende Resonanz. Innerhalb kurzer Zeit, nachdem sie die ersten Fotos ihres Projekts veröffentlicht hatte, meldeten sich zahlreiche Menschen aus der ganzen Welt, die auch „Before I die“–Wände gestalten wollten.

Seitdem wurden mehr als 3000 Tafeln in mehr als 70 Ländern und in über 38 Sprachen aufgestellt und beschrieben. In Deutschland zum Beispiel in Berlin, Erfurt, Hamburg und Aachen. Das Projekt spricht Menschen auf der ganzen Welt an, ob in Sao Paulo, Bangkok, Lissabon oder Dubai. Und es werden meist sehr ähnliche Wünsche und Träume aufgeschrieben. Von Menschen, die gar nicht so verschieden sind. Damit baut dieses Projekt auch Brücken zwischen den Kulturen. In München war die Resonanz ebenfalls unerwartet hoch. Die lokale Presse, mehrere Radiosender und der BR berichteten hierüber. Weitere Aktionen in München und Umgebung sind in Planung.

Kunstprojekt „Ist da Wer?“

In der Pfarrkirche St. Ursula in München-Schwabing war unter dem Titel „Ist da Wer? - Begegnung im Beichtstuhl“ vom ersten Fastensonntag bis zum Palmsonntag 2018 eine außergewöhnliche Kunstinstallation zu erleben, die dazu einlud, sich selbst näher zu kommen und dabei einen vergessenen Ort neu zu entdecken: Eng, finster, traumatisch – das verbinden die meisten Menschen mit dem Beichtstuhl. Diesen Eindruck hatte jedenfalls die Münchner Theatermacherin und angehende Religionspädagogin Judith Huber bei einem Treffen ihrer Begleitgruppe im Aufbaukurs Theologie im Fernkurs. Auf dem Lehrplan stand das Sakrament der Versöhnung und die Künstlerin stellte fest: Der Beichtstuhl hat ein mieses Image; in vielen Gemeinden wird er nicht mehr für Beichtgespräche genutzt, sondern dient als Abstellraum für alte Gotteslob-Ausgaben und leere Getränkekisten. Aber könnte der Beichtstuhl nicht auch ganz anders wahrgenommen werden? Als geschützte Kapsel für eine „Eins-zu-Eins“-Begegnung? Bietet dieser „Raum im Raum“ doch viel von dem, was Menschen heute suchen: Intimität, Selbstbefragung, Standortbestimmung. Sie entwickelte eine Idee zusammen mit dem Psychoonkologen Dr. Klaus Lang aus dem Pfarrgemeinderat von St. Ursula und dem Dekan David W. Theil.

Für die Beichtstuhl-Installation „Ist da Wer?“ wurde ein Fragenkatalog entwickelt, der sich weniger an den Zehn Geboten orientierte, sondern an der Idee des authentischen Lebens: Wie bin ich von Gott gemeint? Was sind meine Potenziale? Wie weit habe ich meine Potenziale bisher im Leben entfaltet? Dekan Theil erfährt immer wieder, „dass Menschen den Beichtstuhl als Folterkammer wahrnehmen und darüber die urchristlich-jüdische Botschaft in Vergessenheit gerät, dass wir alle Individuen sind nach dem Willen und Ebenbild Gottes.“ Spontan stellte er für dieses Projekt zwei Beichtstühle in St. Ursula zur Verfügung, die seit mehr als zehn Jahren niemand mehr betreten hatte. Bei der Umsetzung der Installation ließ er den Künstlern vollkommen freie Hand. Dieses Vertrauen und die Offenheit hat Judith Huber sehr beeindruckt und sie stellte fest, dass es dieser besondere Spirit ist, wofür viele Menschen aus dem ganzen Stadtgebiet nach St. Ursula kommen. Es wurde eine ausgeklügelte Raum-Choreographie entwickelt, die behutsam an Thema und Ort heranführt. Die drei Innenräume des einen Beichtstuhls wurden in eine begehbare Skulptur verwandelt. Der erste Raum, komplett verspiegelt, ruft Überlegungen hervor wie: Welche Facetten meines Ichs lebe ich? Welche mag ich nicht anschauen?

Der zweite Raum, der Priestersitz, vollkommen weiß gepolstert und golden beleuchtet fragt nach dem Heiligen in uns selbst, der dritte Raum birgt einen Vogel im Käfig.

Diese optischen Motive wurden im zweiten Beichtstuhl akustisch wieder aufgenommen. Mit dem Filmemacher und Audiokünstler Felix Kruis schuf Judith Huber ein Hörspiel für drei Stimmen, das durch eine besondere bineurale Aufnahmetechnik dem Besucher auch körperlich ganz nah kommt. Manche Besucher konnten gar nicht glauben, dass sie tatsächlich alleine im Beichtstuhl waren, so verblüffend war der akustische 3D-Effekt. Die simple Frage: „Was ist das Schönste, das Du je erlebt hast?“ von einem Kind ins Ohr geflüstert zu bekommen, an einem Ort, den gerade ältere Menschen mit großer Schwere und unangenehmen Gefühlen assoziieren, war für viele eine bewegende und gleichzeitig befreiende Erfahrung. „Es hat dem Beichtstuhl den Schrecken genommen“, lautet einer der Einträge ins Gästebuch, das sich über die Dauer der Installation von 24 Tagen mit vielen persönlichen Eindrücken gefüllt hat. Die Installation endete am 24. März mit einem feierlichen Gottesdienst, doch das Team überlegt bereits, wie man im nächsten Jahr die Beichtstühle wieder bespielen könnte.

 

Rudi Amannsberger, Hans-Georg Frank, Judith Huber, Peter Hügelmeyer