Buchempfehlung „Altar und Kirche“

Stefan Heid: Altar und Kirche. Prinzipien christlicher Liturgie, Regensburg (Schnell & Steiner) 2019, 496 Seiten; ISBN 978-3-7954-3425-0; 50,00 €

Bilder und Analogien zu den Gemeinden der urchristlichen Zeit stehen heute hoch im Kurs. Egal ob die Frage nach der richtigen Gemeindestruktur in pastoralen Umbruchsprozessen, das Thema Kirchenbau oder die Frage der Ämterstruktur, das Frühchristentum ist gerne Bezugspunkt. Den Fragen nach dem Altar und somit der Frage nach der Anzahl der Versammlungsräume zur Eucharistie in frühchristlichen Gemeinden sowie die Frage nach dem Kirchenbau und der Bildsymbolik der Frühen Kirche, widmet Prof. Dr. Stefan Heid, Professor für Liturgiegeschichte und Hagiographie am Pontificio Istituto di Archeologia Cristiana in Rom sowie Direktor des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft, sein neuestes Buch „Altar und Kirche. Prinzipien christlicher Liturgie“. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Studienwochen von Theologie im Fernkurs in Rom ist Stefan Heid als überaus fundierter Kenner der frühchristlichen Basiliken und rhetorisch brillanter Referent bekannt, der mit seinen historisch-theologischen Führungen durch die Ewige Stadt markante Höhepunkte in den Studienwochen setzt.

Das Wort „Prinzipien“ sieht der Autor für das Verständnis des Buches in doppelter Weise ausschlaggebend: „Es geht zum einen um die Anfänge der Liturgie, zum anderen um das Prinzipielle, also um das, was so grundlegend und wichtig für den christlichen Gottesdienst ist, dass es sich bis zum Mittelalter bei allen Kirchen findet und vor allem in den Gemeinschaften des Ostens bis heute fortwirkt“ (S. 7). Trotz des stattlichen Umfangs von ca. 450 Textseiten ist das Buch sehr informativ und regt zum vertieften Nachdenken und Nachforschen an.  

Neben einem Prolog und einem Epilog behandelt das Buch die „Prinzipien christlicher Liturgie“ in vier großen Abschnitten, die der Betitelung Ursprung – Einheit – Kult – Bild folgen und jeweils in fünf bzw. sechs Unterkapitel eingeteilt sind.

Der Prolog (I.) wirft zunächst einen Blick auf das Thema Altar und stellt den christlichen Altar nicht in den Kontext des Schlachtopfertisches, sondern in den Kontext des Sakraltisches, der ein weitverbreitetes Kultmöbel der jüdischen und der heidnischen Religionspraxis der Antike war. Ausgehend von dieser Feststellung betont der Autor die Lesart der Texte, die bereits im 1./2. Jh. im Zuge der Eucharistiefeier von Tisch und Altar sprechen und die christlichen Kulttische durchaus in heidnischer Tradition betrachten. Betont wird hier auch, dass „das Christentum einmal mehr nicht als Anti-Religion, sondern als integraler, wenn auch stets kritischer Teil der spätantiken Gesellschafts- und Religionskultur“ (S. 26) erscheint.

Das Kapitel Ursprung (II.) widmet sich in vertiefter Form der Frage nach dem Altar als Sakraltisch, der in der Briefliteratur des Apostels Paulus und bei Ignatius von Antiochia, der besonders betont, dass jede christliche Gemeinde in einer Stadt nur einen (bischöflichen) Altar besitzt und der EINE Altar Symbol für die EINE Gemeinde ist (S. 50), immer im Kontext des christlichen Gemeindegottesdienst und der Eucharistie genannt wird. So wird für den Autor ausgehend von literarischen Quellen der ersten Jh. deutlich, dass es besondere Tische (die Altäre) zur Feier der Eucharistie gab und dass diese gerade nicht an einem normalen (Ess-)tisch gefeiert wurde. „Der Tisch als solcher ist etwas Besonderes, Heiliges aufgrund der Berührung mit den Opfergaben“ (S. 68). Ebenfalls zieht Stefan Heid in diesem Kapitel den Schluss, dass das junge Christentum stärker in der jüdischen, als in der heidnischen Tradition steht und der Altar ideal gesehen vom Schaubrottisch des Jerusalemer Tempels abzuleiten ist und nicht vom Schlachtopferaltar.

Nach den umfassenden Ausführungen zum Verständnis des christlichen Altares als Tisch der Eucharistie in der Gemeindeversammlung, geht das Kapitel Einheit (III.) der Frage der Anzahl der Altäre in einer Gemeinde nach. Das Diktum „Hauskirche versus Bischofskirche“ ist hierbei ein Anzeiger für den wissenschaftlichen Streit über die definitive Organisationsgestalt des Frühen Christentums. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, die Bischofskirche zu betonen und die Einheit der Stadtgemeinde hervorzuheben. Die allenthalben genannten Hauskirchen bezeichnet er als „Phantom“ (S. 69) und konstatiert: „Die populäre These eines in kleinen Kultgruppen fragmentierten, pluralen Stadtchristentums muss radikal in Frage gestellt werden“ (S. 158). Der Autor hält daher fest, dass oftmals von mehreren Hauskirchen zu lesen ist, die Realität aber nur einen eucharistischen Versammlungsort unter dem Vorsitz des Bischofs pro Gemeinde kannte. Dies mag zwar für den ein oder anderen Leser nur schwer zu akzeptieren sein, Stefan Heid führt für seine These allerdings einige nachvollziehbare Argumente an wie etwa der Blick in die Grußformeln des Apostels Paulus in seinen Briefen, der z.B. den Römerbrief „an alle in Rom“ (Röm 1,7) richtet und damit schwerlich aufgrund der Länge ein Zirkularschreiben für kleine Hausgemeinden sein konnte, sondern in einer großen Versammlung abschnittsweise vorgelesen wurde (S. 126f). Auch die Frage der liturgischen Bücher wendet sich – so Heid – gegen die Annahme von vielen Hauskirchen in einer Gemeinde, da dann ja jede Hausgemeinde für ihre autonome Liturgie ihre eigenen liturgischen Bücher besessen haben muss – ein Umstand, der fraglich ist (S. 75f). Nichtsdestotrotz negiert Heid für Rom und Alexandria nicht, dass es noch weitere dezentrale Versammlungsorte gab, die der Pastoral in Bezirken der Stadt dienten, dort aber keine eigenständige Eucharistie gefeiert wurde (S. 158). Wesentliches Diktum dieses Kapitels und eines der Höhepunkte des Buches bildet somit das Prinzip: Eine Gemeinde, ein Altar.

Der Kult (IV.) ist die bestimmende Größe des folgenden Kapitels: „Es gibt keine radikale, absolute Unterdrückung von Kult und Religion im werdenden Christentum […] Die Eucharistie erschließt und vollzieht sich in ihrer religionsgeschichtlichen Einbettung als sakrifizielles Tun […]“ (S. 349f). Mit dem Verständnis der Eucharistie als Opferhandlung betont der Autor, dass diese sich – am Sakraltisch vollzogen – von dem sonstigen Mahlgeschehen der Gemeinde abhebt. Der Autor verweist auch darauf, dass der „Versammlungsraum […] durch das sonntägliche Gebet […] zum Erfahrungsort der helfenden Macht Gottes und somit zum Lieux de Mémoire [Erinnerungsort; M.M.] der Heiligkeit und Gottespräsenz“ wird (S. 350). Breiten Raum nimmt in diesem Kapitel das Gebet ein, das vom Priester aufrecht am Altar stehend mit erhobenen Händen und offenen Augen vollzogen wird, und die Gebetsrichtung Osten, die – so Heid – für das liturgische Gebet bereits seit der Zeit der Apostel Pflicht ist (S. 351). Der Autor nennt im Unterkapitel „Ostrichtung des Gebets“ (5.) eine bedeutende Anzahl an Kirchen verschiedener Regionen (Byzanz, Syrien, Ägypten, Kärnten, Istrien, Dalmatien, Norditalien u.v.m.), die in anschaulicher Weise die beiden Grundtypen des Kirchenbaus, nämlich die Apsis-Ostung bzw. die weniger praktizierte Eingangsostung herausstellen und wesentliche Merkmale zu Standorten von Altar, Ambo, Vorstehersitz und Gemeinde herausarbeiten.   

Das letzte Hauptkapitel widmet sich dem Thema Bild (V.). Sind frühe Versammlungsräume noch schlicht ausgestaltet, etabliert sich spätestens mit der konstantinischen Ära eine reiche Ausgestaltung des liturgischen Raumes. Sehen gehört zum Beten und somit erschließt sich auch das enge Miteinander von Liturgie, Gebet und Bild. Der Autor betont hier, dass es weniger der Inhalt des Gebets ist, der ausschlaggebend ist, sondern die Gebetshaltung und führt am Beispiel der Dynamik der Liturgie verschiedene Arten von Bildern im Kirchenraum vor Augen. So wird herausgestellt, dass etwa ein Bildzyklus im Langhaus einer Kirche eine andere Funktion hat als eine gestaltete Apsis. Auf letztere bezogen verdeutlicht der Autor, dass Gebet mit den Augen nach oben gerichtet ganz der menschlichen Interaktion entzogen ist. „Es fordert kein menschliches Gegenüber, sondern es richtet sich allein auf Gott, der im Himmel wohnt und doch nahe ist, der im Apsisbild nicht nur geschaut wird, sondern darin auch wirksam präsent ist und angesprochen wird“ (S. 406).

Der Epilog (VI.) greift am Ende des Buches nochmals zusammenfassend die bestimmende Funktion des Altares als Ort des Gebetes und als Ort des Opfers auf. Besonders betont Heid, dass dieses Gebet auf Gott hin gerichtet ist und nach Osten zu vollziehen ist, der Priester also in der Regel vor dem Altar mit dem Rücken zum Volk steht (S. 464). Deutlich kritisch merkt der Autor an, dass diese Ordnung universal gültig und in allen Ritusfamilien des Ostens und des Westens praktiziert worden sei. Nur die lateinische Kirche sei hier einen Sonderweg gegangen und habe sowohl die Gebetsostung aufgegeben und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil auch den Standort des Liturgen. Die Argumentation, so den Ursprung wiederherzustellen, sieht der Autor nicht gegeben.

Im Zusammenklang der sechs Kapitel ergibt sich ein durchaus rundes Bild von der Situation des Altares als Mittelpunkt des Gottesdienstes und der Gemeinde sowie der Kirchen und ihrer Bildsymbolik im Frühchristentum. Das Buch gibt in dichter und anspruchsvoller Form viele Hinweise und Argumentationen zu den Themen Altar und Liturgie. Dabei versucht der Autor eine Ausgewogenheit zwischen verschiedenen Forschungsmeinungen herzustellen, diese kritisch zu beleuchten und – wo es angebracht erscheint – zu widerlegen. Man kann dem Autor in seinen Ausführungen und Positionen folgen oder nicht, man kommt aber nicht daran vorbei, vertieft über die Positionen nachzudenken und abzuwägen, wem mehr Gehör geschenkt werden kann. Dabei ist dieses Buch keineswegs nur in seiner historischen Dimension als Reproduktion zu betrachten, sondern hat Auswirkungen auf ein vertieftes Verständnis von Altar und feiernder Gemeinde heute – man denke etwa nur an die Frage nach der Ostrichtung des Gebets und der nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil im ordentlichen Römischen Ritus gängigen Praxis, „versus populum“ zu zelebrieren.

Hilfreich bei der Lektüre sind die Zusammenfassungen am Ende jedes größeren Abschnitts, die in verdichteter Weise nochmals zentrale Inhalte und Begriffe der vorausgegangenen Ausführungen aufgreifen und so den Überblick über eine thematische Einheit ermöglichen. Darüber hinaus besticht das Buch auch durch zahlreiche Bilder und Skizzen zu Altären und Kirchenräumen, die zum leichteren Verständnis der Ausführungen beitragen. Ein groß angelegtes Verzeichnis der verwendeten Literatur steht am Ende des Buches und ermöglicht ebenso wie das Begriff- und Sachregister ein gezieltes Nachschlagen inner- und außerhalb des vorliegenden Buches.

Markus Münzel