"Maria 2.0" - Diskussion und Dialog

Maria 2.0 – so lautet die Protestaktion von Katholikinnen in Münster. Vom 11. bis zum 18. Mai 2019 riefen sie bundesweit Frauen auf, in Kirchenstreik zu treten und alle kirchlichen Tätigkeiten ruhen zu lassen. Ihr Ziel: Die katholische Kirche muss sich ändern. In einem offenen Brief an Papst Franziskus forderten sie: Frauen sollen Zugang zu allen Ämtern der Kirche erhalten, der Pflichtzölibat muss aufgehoben und die Sexualmoral an der Lebenswirklichkeit der Menschen ausgerichtet werden. Auch sollten Missbrauchstäter, - dulder und -vertuscher kein kirchliches Amt mehr bekommen. Täter müssten selbstverständlich an weltliche Gerichte überstellt werden sowie uneingeschränkt mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren.

Neben diesen Forderungen bzw. Anliegen wird aber auch Motivation und Sorge für die katholische Kirche auf der Website des Aktionsbündnisses betont:

"Für uns alle ist ein stillschweigender Austritt keine Option. Kämpfen wollen wir für uns und für unsere heranwachsenden Kinder und Enkelkinder! Kämpfen für einen Weg, der es uns und auch den nachfolgenden Generationen nicht nur erträglich macht, sondern sogar Freude, in dieser Kirche zu bleiben! Weil wir hier beheimatet sind, weil uns so sehr an ihr liegt. Damit es wieder um die Botschaft Jesu geht. Schnell war uns klar: wir müssen nicht nur klagen, sondern handeln und Maria 2.0 war geboren."

Der sogenannte Kirchenstreik der Frauen hat es dann schließlich als Meldung bis in die überregionalen Nachrichten geschafft und zahlreiche Unterstützer gefunden. Einige Stimmen aus jüngster Zeit sollen hier als Beispiele für eine noch andauernde Diskussion präsentiert werden.

„Je suis Marie“ - Stellungnahmen prominenter Männer

Alle nachfolgenden Zitate sind dem Artikel „Je suis Marie“ in Christ & Welt, Nr. 29 vom 11. Juli 2019 entnommen.

„Was Maria 2.0 bewegt und fordert, ist nicht nur Sache der Frauen! Es ist heftiges Anliegen aller, die ihre katholische Kirche lieben und als einen Ort ihrer Beheimatung empfinden.“ So beurteilt der SPD-Politiker und Katholik Wolfgang Thierse (von 1998 bis 2005 Präsident des Deutschen Bundestages) die Anliegen von Maria 2.0 und schreibt ein wenig später: „Es ist Zeit für Ungeduld, es ist Zeit für Konsequenzen! Das betrifft nicht nur die Frauen, nicht nur die ‚Laien‘, sondern eben auch die Männer in der Kirche, also die Kleriker. Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Kirche beschrieben als 'das wandernde Volk Gottes‘. Auf der Stelle treten ist kein Wandern!“

An diesen Hinweis auf die katholische Kirche als Weltkirche schließt Thierses Parteifreund Hans-Jochen Vogel an, wenn er schreibt: „Natürlich müssen wir das Weltkirchenprinzip beachten. Wir können nicht von einem Tag auf den anderen etwas verändern und erwarten, dass alle Weltregionen mitziehen. Aber man muss die Veränderung als Ziel im Auge behalten. Es geschieht doch längst: In den mit unserer Kirche unierten Ostkirchen dürfen ja auch Verheiratete Priester werden.“ Hans-Jochen Vogel spitzt die Anliegen der Bewegung Maria 2.0 zu, indem er fordert, dass sich die Frauen hierzulande mit Frauen in anderen Weltregionen vernetzen, um Druck auf „die Kirchenmänner“ auszuüben. Schließlich stellt er sogar eine Art ‚Schicksalsfrage‘: „Wollen wir Katholiken eine große gesellschaftliche Bewegung bleiben, die mit ihren Werten die Gesellschaft beeinflussen kann? Oder wollen wir schrumpfen auf eine kleine, extrem konservative Gruppe, die ihren Einfluss verliert?“

Der CDU-Politiker und Gesundheitsminister Jens Spahn weist auf Widersprüche zwischen Auftrag, Motivation und konkretem Handeln hin: „Als Politiker bin ich mir christlicher Werte und Traditionen bewusst. Gleichzeitig weiß ich: Es ist nicht immer leicht, konkretes politisches Handeln widerspruchsfrei an der Lehre des Evangeliums auszurichten. […] Als Mitglied des Bundestages bin ich von Bürgern gewählt und nicht von der Kirche entsandt. Doch als Katholik treibt mich die Frage nach der Zukunft meiner Kirche um.“ Mit dem Hinweis, er habe große Sympathien für die Anliegen der Frauen von Maria 2.0 setzt Spahn wiederum bei der Botschaft Jesu selber an: „Jesus hat seine Botschaft allen Menschen gleichermaßen verkündet, unabhängig vom Geschlecht und unabhängig davon, wer wen liebt. Angefangen mit der Gottesmutter Maria über die heilige Elisabeth von Thüringen – Frauen hatten für den Katholizismus immer eine tragende Rolle: in den Familien, in den Gemeinden, spirituell, Gemeinschaft stiftend, organisatorisch.“ Mit dem Bewusstsein für Widersprüche schließt Jens Spahn auch sein Statement ab: „Auch wenn es viele in der Kirche – gerade in der Weltkirche – anders sehen: Ich fände hier neue Wege gut.“

„Der Protest ist richtig. Er ist wichtig. Er muss noch kraftvoller werden, um seinem Namen gerecht zu werden: Maria 2.0“, schreibt Heribert Prantl (bis 2019 in der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung), um dann gleich zu begründen: „Maria, die Namensgeberin des Protestes, hat im Magnificat, in ihrem großen Lobgesang, gesagt: ‚Gott stürzt die Mächtigen vom Thron.‘ Die Mächtigen in der katholischen Kirche sind die dortigen Hierarchien, die Bischöfe und die Priester. Ihr männlicher, ihr patriarchaler Alleinvertretungsanspruch muss gestürzt werden.“ Anschließend setzt Prantl noch eine weitere biblische Begründung hinzu: „Geist ist in der hebräischen Bibel feminin, eine Die, eine schöpferische, weibliche, pfingstliche Kraft: Sie reformiert, sie revolutioniert, sie macht neu. Es ist Zeit dafür, dass die katholische Kirche neu wird: weiblicher.“

Der Benediktiner Anselm Grün aus Münsterschwarzach ordnet theologische Bewertungen zu den Anliegen von Maria 2.0 ein: „Eine Theologie, die sich darauf beruft, dass Jesus ein Mann war und daher nur Männer Priester sein können, möchte nur den Status quo hochhalten. Doch diese Theologie ist unhaltbar. Sie gründet auf gesellschaftlichen Vorurteilen, wie sie lange von Männern Frauen gegenüber gehegt wurden.“ Zudem verkenne ein Status quo, der Männern stets den Vorzug gibt, die Rolle der Frauen im Laufe der Kirchengeschichte: „In der Kirchengeschichte waren es oft Frauen, die wichtige Bewegungen in Gang setzen, so etwa Hildegard von Bingen, Katharina von Siena, Teresa von Ávila (...).“ Letztlich gehe es darum, einander zuzuhören und gemeinsam zu lernen: „So sollten wir Männer darauf hören, was die Frauen heute an neuen Ideen und Bewegungen in der Kirche einbringen könnten.“

Bleibt alles anders!

Alle nachfolgenden Zitate sind dem Artikel "Bleibt alles anders“ von Michael Triegel in Christ & Welt, Nr. 30 vom 18. Juli 2019 entnommen.

Der Maler Michael Triegel wurde berühmt als der ostdeutsche Atheist, der Papst Benedikt XVI. porträtierte. Zu seiner Situation innerhalb der katholischen Kirche nach seiner Taufe 2014 schreibt Triegel: „Ich fand mich in einer Kirche wieder, die bis heute durch den Missbrauchsskandal zutiefst erschüttert wird und deren Traditionen als Teil des Problems in der Kritik stehen. Nun neigt möglicherweise der Konvertit oder Proselyt dazu, seinen neuen Glauben besonders streng zu leben, den gerade erst eingeübten Riten sehr genau zu folgen, den entstehenden Familienbund durch blinden Gehorsam zu befestigen. […] Doch ist nicht ein von außen Kommender auch oft freier, Probleme, die sich schleichend verfestigt haben, zu erkennen? Sollte nicht jede Frage immer erlaubt sein?“

Michael Triegel berichtet dann von verschiedenen Erfahrungen: Als er die Äbtissin des Zisterzienserinnenklosters Helfta, Maria Assumpta Schenkel OCist, porträtierte, lernte er eine durchsetzungsstarke Frau kennen, die sich u.a. erfolgreich für die rechtliche Gleichstellung von Äbtissinnen mit den Äbten des Zisterzienserordens einsetzte. Die Äbtissin drängte einfach dadurch, wie sie ihm begegnete, Triegel dazu, sich über eigene Klischees bezüglich „christlicher Demut und weiblicher Dienstbarkeit“ klar zu werden. In der Auseinandersetzung mit künstlerischen Arbeiten der Tradition konnte er feststellen, dass schon Vergessenes bei seiner Wiederentdeckung „in völlig neue Verhältnisse zur Gegenwart treten und kraftvoll jugendfrisch überraschen kann“. In einer Eucharistiefeier musste Triegel schließlich erleben, wie der Kommunion spendende Priester und eine weibliche Kommunionhelferin unterschiedlich wahrgenommen werden, obwohl sie das Gleiche tun.

Triegel gibt selbst zu, dass die „Maximalforderungen nach Aufhebung des Pflichtzölibats und des Zugangs von Frauen zu allen Ämtern der Kirche“ nicht nur manchen konservativen Katholiken erschrecken sondern diese Forderungen momentan auch seine eigene Vorstellungskraft übersteigen. Allerdings setzt er gleich hinzu: „Doch sollten wir nicht neugierig darauf sein, wohin uns das Nachdenken über die scheinbar abwegigsten Fragen führen kann?“ Schließlich kann Triegel resümieren: „Wir sollten keine Angst vor dem Verlust von Traditionen haben, wenn die Zukunft auf dem Spiel steht. Suchen wir die Vielfalt, stellen wir Fragen, auf die wir die Antwort noch nicht kennen:“ Am Schluss von Triegels Stellungnahme steht ein biblisches Bild und eine offene Frage: „Es waren einst Frauen, die sich aufmachten zum Grabe des Herrn, um dann die Botschaft von seiner Auferstehung in die Welt zu tragen. Gibt das nicht auch Hoffnung für heute?“

Diskussionskultur in der Kirche

Alle nachfolgenden Zitate sind dem ArtikelHörende Bischöfe machen noch keine dialogische Kirche“ vom 19.07.2019 auf Katholisch.de entnommen.

Die Erfurter Professorin für Dogmatik, Julia Knop, macht sich über die Anliegen von Maria 2.0 hinaus Gedanken über „partizipative Diskurs- und Entscheidungskulturen“ und befragt die traditionelle Unterscheidung von hörender ("ecclesia audiens") und lehrender ("ecclesia docens") Kirche auf ihre Zeitgemäßheit. Repräsentieren auch heute noch ausschließlich Laien die hörende (= gehorsame) Kirche und die Hierarchie füllt die Rolle der lehrenden Kirche aus? Ihre Schlussfolgerungen lauten: „Das Zweite Vatikanische Konzil hat diese Rollenverteilung grundsätzlich in Frage gestellt und den apostolischen Auftrag aller Gläubigen in Erinnerung gerufen. Wenn man Papst Franziskus beim Wort nimmt, will er die alte Rollenverteilung geradezu umkehren. Kaum ein römisches Schreiben kommt neuerdings ohne die Mahnung aus, die Bischöfe müssten auf die ‚Basis‘ hören, und im Vorfeld römischer Bischofssynoden sollen jetzt stets die Gläubigen befragt werden.“ Es braucht nach Knop somit eine neue Kultur der Diskussion, des aufeinander Hörens und des daraus folgenden Entscheidens. Hierzu bedarf es vor allem der Offenheit für das Geäußerte und dieses darf nicht sofort einsortiert und abgelegt werden. Auf die Bischöfe bezogen formuliert die Dogmatikprofessorin: „Ihre Hörbereitschaft bleibt eine Floskel, solange sie darüber urteilen, was hörenswert ist. Daran hat sich ja nichts geändert: Die Gläubigen werden gehört, wenn sie gefragt werden – nicht, wenn sie sich selbst zu Wort melden, wie jüngst bei ‚Maria 2.0‘.“ Folgerichtig münden die Aussagen von Frau Prof. Knop in dem Plädoyer, sich gemeinsam – Frauen und Männer, Laien und Kleriker – für Veränderungen einzusetzen: „Die Frauen von ‚Maria 2.0‘ sind vielleicht die letzten ihrer Generation, die sich überhaupt noch zu Wort melden und darauf setzen, dass sich kirchliche Erneuerung nicht in Symbolpolitik erschöpft. Wann hören sie den ersten Bischof öffentlich sagen: 'Maria 2.0: Ich bin dabei!'?“

Maria 2.0 - eine Diskussion bei Theologie im Fernkurs

Durch die Einführung von E-Learning und die Möglichkeit, sich mit anderen Personen, die in Kursen von Theologie im Fernkurs eingeschrieben sind, digital auszutauschen, hat sich Kommunikation im Fernstudium verändert und Kommunikationsmöglichkeiten haben sich definitiv erweitert. Ein Online-Forum bietet die Gelegenheit, praktisch zu jeder Zeit, die individuell passend erscheint, ein neues Thema durch einen Beitrag zu eröffnen oder auf ein bereits in der Diskussion befindliches Thema zu reagieren.  „Maria 2.0“ ist so ein Thema im Forum auf der eLernplattform von Theologie im Fernkurs – und es ist bis heute das am meisten diskutierte Thema in diesem Forum. Am 17. April 2019 wurde der erste Beitrag eingestellt, der über die Aktion „Maria 2.0“ generell informierte und darauf hinwies, dass in weniger als vier Wochen der „Kirchenstreik der Frauen“ beginne. Durch zahlreiche nachfolgende Beiträge entspann sich nun eine Diskussion, die die Forderungen von Maria 2.0 aufnahm, aber auch immer grundsätzlicher wurde: Was bedeutet katholisch? Was heißt „der Tradition gemäß“? Welche Rolle spielt das Lehramt, welche Rolle die Theologie, welche Rolle der Glaubenssinn der Gläubigen? Schließlich wurde auch gefragt, wie es gelingen kann, auch junge Menschen für den Glauben heute zu begeistern.

Während manche Diskussionsteilnehmenden der Meinung waren, dass bereits der Name der Aktion eine Anmaßung und die Forderungen egoistisch seien, entgegneten andere, dass nur ausgesprochen werde, was vielen (wenn auch nicht allen) Christinnen und Christen im Herzen brenne. Es gab die Meinung, dass die Bewegung die Kirche zu spalten drohe, da sie mit der katholischen Tradition nicht im Einklang sei, dagegen stand die Auffassung, dass die Aktion nur der Anfang sein könne, da es noch wesentlich mehr und grundlegendere Probleme in der katholischen Kirche anzupacken gäbe.

Es gab dann in der sogenannten Streikwoche Berichte von Aktionen, Beobachtungen vor Ort und persönliche Einschätzungen. Manchmal wurde recht emotional geschrieben und die Diskussion drohte in einen Schlagabtausch zu kippen. Insgesamt war aber spürbar, dass es allen Beteiligten mit sehr unterschiedlichen Perspektiven und Sichtweisen um „ihre Kirche“ ging. Alle an der Diskussion Beteiligten wollten verstehen, was sich im Einzelnen (theologisch) hinter den Aktionen, Anliegen und Aussagen verbirgt.

Natürlich wurde auch im Forum von Theologie im Fernkurs keine ‚Lösung’ gefunden, aber durch Diskussion und Dialog miteinander konnten Einsichten wachsen und neue Erkenntnisse gewonnen werden, Manche Frage wird den einen oder die andere noch weiter beschäftigen.

Der vorerst letzte Eintrag stammt vom 26. Mai, ohne jedoch die Diskussion zu beenden oder gar für abgeschlossen erklären zu wollen.  Auch wenn es nicht allen Diskussionsteilnehmenden gefiel: Die Beiträge sind Beispiele für gelebte Pluralität innerhalb der katholischen Kirche, für die Sorge der Menschen, die auf diese Weise die Kirche und das Evangelium lebendig halten.

Martin Ostermann