Buchbesprechung "Christentum im Kapitalismus"

Rainer Bucher: Christentum im Kapitalismus. Wider die gewinnorientierte Verwaltung der Welt, Würzburg (Echter) 2019, 224 Seiten; ISBN 978-3-429-05325-8; 19,90 €

Der Kapitalismus ist die grundlegende Leitinstanz, die unsere Kultur in der Gegenwart und wohl auch in Zukunft prägen wird. Sowohl die soziale Verflochtenheit wie die individuelle Gestaltungsformen des Menschen sind von den Regularien des ökonomischen Marktes mit seiner Gewinnorientierung gekennzeichnet. Ob wir wollen oder nicht, wir entkommen dem „kulturell hegemonialen Kapitalismus“ nicht. Wie der säkulare Staat in der Neuzeit die christliche Religion als Leitinstanz abgelöst hat, so wird der Staat jetzt durch den Kapitalismus abgelöst. Der Staat, aber auch die Religion müssen sich in dieser Gemengelage neu formatieren.

Der Grazer Pastoraltheologe Rainer Bucher entwickelt in seinem kulturtheoretisch angelegten, im pastoraltheologischen Diskurs eher ungewöhnlichen Buch den spannenden Versuch einer Selbstbestimmung des Christentums innerhalb des Kapitalismus. Bisher gängige, progressiv wie konservative kulturpessimistische Strategien der Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus greifen, so Bucher, nicht mehr.

Folgt man dieser Grundidee Buchers vom kulturell hegemonialen Kapitalismus, dessen Plausibilität kaum zu bestreiten ist, so bestätigen sich die historisch-systematischen Analysen dieses Buches, dass die bisherigen Reaktionen in Religion, Kirche und Theologie an ihr Ende gekommen sind und der kapitalistischen Hegemonie nichts mehr entgegen zu setzen haben.

Fernab des kritisierten Kulturpessimismus eröffnet Bucher Perspektiven für den Glauben in dieser kulturellen Konstellation. Einerseits werden diese in den Re-Interpretationen des Christentum durch marxistische geprägte postmoderne Philosophen wie Jean-Luc Nancy, Gianni Vattimo, Terry Eagleton, Alain Badiou und Slavoj Žižek gesehen. Andererseits wird auf zeitgenössische Ansätze christlicher Propheten und Prophetinnen wie Dietrich Bonhoeffer, Dorothee Sölle, Michel de Certeau, Papst Franziskus und Madeleine Delbrêl verwiesen.

Die Zielsetzung des Buches besteht darin, „jenseits von Affirmation und Retro-Utopien“ eine Balance zu schaffen, in der das Christentum sich nicht von der Wirklichkeit abschottet, sondern in je konkreten Situationen je konkrete Wege eröffnet. „Es geht mithin darum, ob christliche Interventionen, ob die kreative Konfrontation von Evangelium und Existenz im kulturell hegemonialen Kapitalismus Unterschiede eröffnet, die in den konkreten Existenzen der Menschen einen wirklichen Unterschied machen. Das ist immer ebenso möglich wie ungewiss.“ (149)

Damit rücken alternative Orte und Praktiken der Pastoral in den Blick, die jenseits eingefahrener Wege kirchlicher Seelsorge bestehen und gelebt werden. In der Konsequenz bedeutet dies für Bucher auch einen neuen politischen Katholizismus, der sich gesellschaftlich - gerade für die Armen - einmischt und eine Reform akademischer Theologie, die sich den wirklichen Fragen stellt. Beides lässt sich mit dem Leitwort von Papst Franziskus einer „conversión pastoral“ umschreiben.

Buchers Analysen und Schlussfolgerungen sind bestechend, das sprachliche Niveau mit den vielfältigen Verweisen auf andere Literatur beim Lesen nicht immer ohne Anstrengung. Wer die Augen vor unserer kulturellen Wirklichkeit nicht verschließen will und gleichzeitig nach einer Relevanz für den Glauben im Hier und Jetzt fragt, sollte sich der Provokation von „Christentum im Kapitalismus“ nicht entziehen.

Thomas Franz