Gerechtigkeit ist kein Reformanliegen

Sr. Philippa Rath und Pfarrer Burkhard Hose sind zwei, die etwas bewegen wollen, die nicht länger warten wollen, zwei die fordern: „Gerechtigkeit, jetzt!“
Regina Augustin führte mit Sr. Philippa Rath und Pfarrer Burkhard Hose ein Interview anlässlich des Erscheinens ihres gemeinsamen Buchs „Frauen ins Amt! Männer der Kirche solidarisieren sich“.

Regina Augustin: Wie kam es zu diesem gemeinsamen Buchprojekt?

Sr. Philippa Rath: Die Idee für dieses Buch ist bereits mit dem Erscheinen des Buches „Weil Gott es so will“, in dem 150 Frauen von ihren Berufungsgeschichten erzählen, gewachsen. Die Reaktionen sehr vieler Frauen und auch von Männern waren unmittelbar da. Viele Männer waren dankbar, dass mit dem Buch das Thema der Berufung von Frauen zu Diakoninnen und Priesterinnen aus der Tabuzone geholt wurde. Die persönlichen Lebensgeschichten von Frauen machten viele Männer – auch geweihte – betroffen und lösten bei so manchen eine Veränderungssehnsucht aus. Es schien daher sinnvoll, einen Komplementärband zu machen. Ein zweiter Gedanke war, dass ich für ein „Männerbuch“ einen zweiten Herausgeber bräuchte. Im Idealfall einen aufgeschlossenen und reformfreudigen Priester. Burkhard Hose fiel mir ein, weil ich kurz zuvor eine Rezension zu einem seiner Bücher gelesen hatte. Bis dahin hatten wir noch nie Kontakt gehabt, trotzdem stimmte er sofort zu. Und wir haben uns gleich ans Werk gemacht.

Burkhard Hose: Ich habe nicht gezögert, als Sr. Philippa mich gefragt hat. Ich hatte Beiträge von ihr mit großer Begeisterung gehört. Insbesondere ihr Zeugnis, dass sie im Frankfurter Dom 2019 im Rahmen des Synodalen Wegs abgelegt hatte, war mir in Erinnerung. Und ich war berührt von den vielen Zeugnissen der Frauen im Buch „Weil Gott es so will“.
Hinzukam, dass ich 2019 in den Anfängen der Initiative Maria 2.0 als Referent nach Köln zu einer Lesung meines Buches „Warum wir aufhören sollten die Kirche zu retten“ eingeladen war. Am Ende der Veranstaltung sagte eine Teilnehmende: „Sie müssen sich als Priester mit anderen Priestern, die Reformen wollen, verbinden. Sonst wird sich nichts ändern.“ Bisher hatte ich mir dazu keine Gedanken gemacht. Zunächst empfand ich diese Frage eher als störend, aber sie ließ mich auch nicht mehr los – wie ein innerlicher Auftrag. Ja, Solidarität zu zeigen ist ein Auftrag. Durch den Anruf von Sr. Philippa sah ich die Möglichkeit, diesen Auftrag zu verwirklichen und auch andere „Kirchen-Männer“ zu mobilisieren, Solidarität zu zeigen.

Augustin: Wie sind die Reaktionen auf das Buch?

Rath: Vor allem das mediale Interesse ist sehr groß. Wir führen hier heute nicht das erste Interview. Zwar gibt es nicht ganz so viele persönliche Reaktionen wie beim „Frauenbuch“, aber auch in diesem Fall kaum negative – bis auf eine einzige. Die Rückmeldungen bringen Hoffnung und Dankbarkeit zum Ausdruck. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, war einer der ersten, der sich bedankte. Er zeigte sich überzeugt davon, dass diese Stimmen von Kirchenmännern zur Frage des sakramentalen Amts für Frauen nicht mehr zum Verstummen gebracht werden können. Beim Synodalen Weg habe ich ebenfalls viel positives Feedback bekommen. Auch die bei der Versammlung anwesenden Autoren unseres Buches wurden oft angesprochen und waren sichtlich stolz, einen Beitrag beigesteuert zu haben.

Hose: Ich bin stärker in den sozialen Medien aktiv und wir erfahren dort reichlich Zuspruch. Unsere Autoren teilen und liken und tragen zur Verbreitung bei. Ich erlebe viele der Autoren beinahe stolz und bewegt. Peter Otten ist mir in Erinnerung, er begann schon auf Facebook „Werbung“ zu machen als das Projekt noch halb in den Kinderschuhen steckte. Die Identifikation mit dem Anliegen des Buches und die Motivation, darüber zu einer Umkehr der Kirche beizutragen war und ist hoch!

Augustin: Nun ist es doch ein „Männerbuch“, wie es oft kurz genannt wird. Warum nur Männer? Hätte man nicht auch ein Buch mit Stimmen von Männern und Frauen machen können?

Rath: Als das Buch mit den 150 Lebens- und Berufungszeugnissen der Frauen erschien, wurden darin auch drei Männerstimmen mit veröffentlicht. Die Solidarität war schon damals groß, aber der Rahmen des Buchs wäre gesprengt worden, hätten wir seinerzeit schon alle Beiträge von Männern aufnehmen wollen. Ein Satz von Johanna Rahner ist mir bleibend im Gedächtnis. Sie sagte in einem Vortrag in Stuttgart: „Wir können noch so gute theologische Argumente haben, entscheiden tun letztlich die Männer, die müssen wir überzeugen.“ Es ist wichtig, dass (geweihte) Männer auch von (geweihten) Männern überzeugt werden, sozusagen innerhalb der gleichen Community. Und dazu trägt unser Buch entscheidend bei.

Hose: Auch ich stellte mir diese Frage zu Beginn, denn es bestand durchaus eine gewisse Gefahr, dass das Buch paternalistisch missverstanden werden könnte. Im Sinne von: Hier sagen die Männer jetzt mal etwas Nettes über die Frauen in der Kirche. Das Buch soll aber vor allem eine konzentrierte Beschäftigung mit dem eigenen Mannsein und dem Selbstverständnis von uns Männern in der Kirche fördern. Es geht um ein neues „kritisches Mannsein“ in der Kirche, das sich zuerst mit der eigenen privilegierten Position auseinandersetzt. Auf diesem Weg können Männer der Kirche zu Verbündeten der diskriminierten Frauen werden. Angelehnt ist diese Haltung an das „kritische Weißsein“ (Critical Whiteness) aus der Rassismusforschung.

Augustin: Ich habe mit einer Kollegin über das Buch gesprochen. Sie empfand viele Beiträge als heilsam, denn sie hat insbesondere während ihrer Studienzeit in den 1980er-Jahren Diskriminierung erlebt. Wie nehmen Sie das wahr?

Rath: Ich habe bei vielen Männern eine innere Umkehr erlebt, auch im Buch spiegeln dies einige Beiträge wider. Diese Prozesse sind beeindruckend, denn es kommt langsam aber sicher zu einem Bewusstseinswandel. Dass die Männer damit so ehrlich und offen umgehen, ist schön zu erleben.

Hose: Ich erlebe bei etlichen Bischöfen langsam ein Umdenken. Noch zu Beginn des Synodalen Wegs sprachen Bischöfe davon, zunächst sei das „Wesen der Frau“ theologisch neu zu bestimmen. Inzwischen begreifen viele, dass es hier keine theologischen Fragen mehr zu klären gibt, sondern dass es dabei um eine Frage der Gerechtigkeit geht.

Rath: Das beobachte ich auch im Rahmen des Synodalen Wegs. Die Atmosphäre zwischen den Geschlechtern, den Laien und dem Klerus hat sich deutlich verbessert, die Barrieren werden durch persönliche Begegnungen zunehmend abgebaut.

Augustin: Für wen ist dieses Buch bestimmt? Wen hatten Sie vor Augen als Sie das Projekt begannen?

Rath: Alle! Ich wollte nicht für eine bestimmte abgegrenzte Zielgruppe arbeiten, sondern alle Menschen erreichen, die sich noch für kirchliche Themen interessieren. Auch die eher am Rand stehenden sind eingeladen, dieses Buch zu lesen.

Hose: Zuerst hatte ich persönlich den kirchlichen Reformprozess im Blick. Ich hoffte, das Buch würde vor allem Menschen in der Kirche, die auf Reformen warten, stärken. Nun melden sich aber auch vermehrt Menschen, mit denen ich nicht gerechnet habe. Sie zeigen, dass unser Buch auch jenseits der kirchlichen Grenzen Beachtung findet.

Augustin: Finden Sie es tröstlich, dass Kirche so noch als gesellschaftliche Akteurin wahrgenommen wird?

Rath: Die Kirche muss in die Gesellschaft hineinwirken! Das ist ihre Aufgabe, wenn sie die Botschaft des Evangeliums leben will. Menschen müssen zu immer neuem Engagement ermutigt werden.

Hose: Ich würde weniger von „tröstlich“ mehr von „hoffnungsvoll“ sprechen wollen. Das Christentum hatte in seinen Anfängen die geltende gesellschaftliche Ordnung ins Wanken gebracht und damit eine neue Gerechtigkeit geschaffen. Das müssen wir erinnern. Ein Beleg dafür ist der auch im Buch mehrfach zitierte „Gleichheitssatz“ in Galater 3,27-28. Dort werden gesellschaftliche Kategorien, die Menschen über- bzw. unterordnen, aufgelöst. In der christlichen Gemeinde haben alle durch die Taufe die gleiche Würde und damit auch die gleichen Rechte. Der Blick darauf ist derzeit aber durch diskriminierende kirchliche Strukturen verstellt.
Und es gibt Hoffnung, da sich auch jüngere Kolleginnen und Kollegen und sogar meine 17-jährige Nichte für dieses Buch interessieren.

Rath: Die „Jungen Synodalen“ erlebe ich da auch als mutig, kritisch, klug und kämpferisch. Sie sind echte Hoffnungsträger und Hoffnungsträgerinnen.

Augustin: Kann man das Bemühen um Gerechtigkeit und Gleichstellung tatsächlich als Teil eines Reformprozesses verstehen?

Rath: Geschlechtergerechtigkeit sollte längst selbstverständlich sein. Es ist ein Skandal, dass es nicht so ist. Die Päpste haben immer wieder beeindruckende Reden zum Thema Menschenwürde und Menschenrechte abgelegt. Aber diese würden erheblich mehr an Strahlkraft gewinnen, wenn sie auch in der Kirche verwirklicht würden.

Hose: Die Menschenrechte stehen in Verbindung mit allen großen Themen der Kirche. Im Zusammenhang der Missbrauchsverbrechen ist deutlich geworden, wie dort die Würde von Menschen missachtet wird, die Grenzen nicht gewahrt werden. Die Benachteiligung von Frauen ist letztlich genauso ein Thema der Menschenrechte wie die Diskriminierung von Menschen, die nicht-heterosexuell sind oder die nicht in das veraltete binäre Geschlechtersystem hineinpassen. Es geht also nicht nur um Reformen, sondern auch um eine Änderung bzw. Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre, so dass sie auf der Höhe der Menschenrechte ankommt.

Augustin: Braucht es eine neue Amtstheologie, um Frauen zur Weihe zulassen zu können?

Rath: Wenn Frauen zu den Weiheämtern zugelassen werden, wird es automatisch zu einer Veränderung des Amtsverständnisses kommen. Aber es gibt auch grundsätzlichen Nachholbedarf. Die Ämtertheologie muss neu bedacht werden. Die Weihe ist kein Mehrwert, der jemanden zu einem besseren Menschen macht. Sie darf nicht zur Selbstüberhöhung und zu Klerikalismus führen.

Hose: Viele Frauen und auch Männer wollen gar nicht in dieses Amt, wie es jetzt ist, hineingeweiht werden. Sie sagen: Zuerst müsste sich doch das Amtsverständnis ändern. Aus der Perspektive der Gerechtigkeit geht es aber zunächst darum, dass alle Geschlechter jetzt die gleichen Rechte und damit Zugang zu allen Ämtern erhalten, die augenblicklich nur Männern vorbehalten sind. Wenn diese Gerechtigkeit hergestellt ist, dann ändert sich das Amtsverständnis automatisch.

Augustin: D.h. auch Zölibat?

Rath: Die Abschaffung des Zölibats als verpflichtende Zugangsvoraussetzung zum Priesteramt wird ja bereits breit diskutiert. Hier wird es hoffentlich in naher Zukunft Veränderungen geben.

Hose: Wenn man einen gerechten Zugang zu den Ämtern, wie sie jetzt sind, fordert, dann würde das tatsächlich bedeuten, dass damit derzeit auch die Zölibatsverpflichtung verbunden ist. Ich rechne aber eher damit, dass mit dem Zugang zu den Ämtern für alle Geschlechter auch der Pflichtzölibat fallen wird.

Augustin: Welche Hoffnung verbinden Sie mit Ihrem Buch?

Rath: Ich hoffe, dass es Bewusstsein verändert und zum Nachdenken anregt. Dass diese Bekenntnisse der Kirchenmänner andere, die noch unsicher sind und noch innere Vorbehalte gegen Frauen in allen Weiheämtern haben, ein Stück mehr überzeugen und zu klarem Engagement motivieren werden.

Hose: Ich hoffe, dass diese Männersolidarität, wie wir sie im Buch in vielen Beiträgen finden, weiter zunimmt. Ich erhoffe mir, dass sich noch mehr Kirchen-Männer und unter ihnen auch noch mehr Bischöfe kritisch mit ihren Privilegien auseinandersetzen und so für mehr Gerechtigkeit sorgen.
Eine ganz persönliche Hoffnung habe ich: Ich hoffe und erwarte, dass selbstbewusste junge Frauen, wie meine Nichte, die ein Theologiestudium anstrebt, sehr bald einen gleichberechtigten Platz haben werden in dieser Kirche.

Augustin: Vielen Dank für Ihre Bereitschaft und den Einblick ins Buch und Ihre Beweggründe es herauszugeben. Ich schließe mich Ihren Hoffnungen an.