Buchvorstellung „Die Kunst zu lieben“

Eberhard Schockenhoff, Die Kunst zu lieben. Unterwegs zu einer neuen Sexualethik, Freiburg i. Br. (Herder) 2021, 484 Seiten; ISBN: 978-3-451-38975-7; 48,00 €

Ein Vermächtnis. Ein wahrhaftiges Vermächtnis, das der am 18. Juli 2020 völlig unerwartet an den Folgen eines Sturzes verstorbene Eberhard Schockenhoff, Professor für Moraltheologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, uns hier hinterlassen hat.

In seinem 2021 im Herder-Verlag erschienenen Buch „Die Kunst zu lieben. Unterwegs zu einer neuen Sexualethik“ geht es um ein Thema, zu dem es eine große Anzahl an Äußerungen vonseiten des Lehramts gibt, die aber in der Öffentlichkeit kaum noch Relevanz besitzen, bzw. die von den meisten noch nicht einmal mehr belächelt werden. Kirchliche Äußerungen auf diesem Gebiet spielen schlicht keine Rolle mehr. Der Graben ist tief zwischen der Lebenswirklichkeit der Menschen und der lehramtlichen Meinung zum Thema Sexualität: „eine rigide Verbotsmoral [weist] der spielerischen Freude am Eros Schranken (...), die außerhalb und weithin auch innerhalb der Kirche nicht mehr akzeptiert werden“ (72).

Fast alles beim Thema Sexualität scheint kirchlicherseits immer mit dem Wort des Sündhaften belegt und assoziiert zu sein, allein innerhalb der Ehe sind sexuelle Theorie und Praxis überhaupt erlaubt, – und auch nur dann, wenn jeder einzelne Akt für die Lebensweitergabe offenbleibt. Dahinter steht ein naturrechtliches Denken, das allen anderen Erscheinungsformen von Sexualität Grenzen mit einer Rigidität setzt, die nur durch Enthaltsamkeit eingehalten werden können.

Diese Schneise der Verbote bricht Eberhard Schockenhoff auf. Er erklärt, was möglich sein könnte, indem er den eigentlichen Kern der Botschaft wieder zum Leuchten bringt und weit, menschenfreundlich und lebensdienlich auslegt, ohne sich ins Ungefähre zu verlieren, in eine Beliebigkeit abzuschweifen oder utopisch-unrealistisch zu werden. Unterschiedliche Orientierungen und Beziehungsformen, von denen heute viele so selbstverständlich und gesellschaftlich akzeptiert gelebt werden (dürfen), werden hier eben nicht als sündhaft bezeichnet. Er nimmt eine differenzierte Neubewertung von Verhütung, Homosexualität und außerehelicher Sexualität vor. Dabei dient sich Schockenhoff nicht mit oberflächlichen Antworten dem vermeintlichen gesellschaftlichen „Zeitgeist“ an. Familie wird z.B. öffnend als gesellschaftlich bedeutender „Lebensraum der Liebe“ (422) bezeichnet. Auch die Unauflöslichkeit der Ehe und ein lebenslanges Treueversprechen werden als nicht bedeutungslos dargestellt und bleiben in ihrem Idealismus von hoher Relevanz, zumal sie im Blick auf ein Gelingen eine Vorausschau auf ein verheißenes Leben, auf verheißenes Lebensglück bieten können.

Schockenhoff formuliert letztlich in diesem thematischen Fokus eine Zeitenwende, die lange schon nottut, stetig drängender wird und in einem guten Sinn „aufdringlich“: Die Lehrsätze kirchlicher Sexualmoral sind keine von Gott in die Natur des Menschen eingelassenen, quasi nicht veränderbare Normen. Er fordert klar, „das ärgerliche Glaubenshindernis zu beseitigen, indem man die kirchliche Lehre in diesem Punkt revidiert!“ (237), um dadurch die Menschen wieder näher zu Gott zu bringen und ihnen „das Geheimnis seiner Liebe zu erschließen“ (237). Von einer Verbotsmoral führt Schockenhoff zu einer neuen „Beziehungsethik“ hin, die der heutigen Lebenswelt und dem heutigen Erkenntnisstand mehr entspricht.

Das Buch greift systematisch und historisch weit aus: In den ersten Kapiteln zeichnet Schockenhoff die historischen und philosophischen Wegmarken und Entwicklungslinien der kirchlichen Sexualmoral von einem patristischen Denken über die an Aristoteles angelehnte Naturphilosophie des Mittelalters bis zur Gegenwart mit ihren postmodernen Erzählstrukturen nach, erläutert und bereichert seine Ausführungen mit zahlreichen Beispielen und Belegen. Vor dieser Hintergrundfolie breitet er seine argumentativ durchgängig redlich-wissenschaftliche Sicht der Dinge aus, dem Zeugnis der Bibel und dem biblischen Menschenbild sowie dem Dialog v.a. mit den Humanwissenschaften verhaftet. Lehramtlicher Bezugspunkt ist die differenzierte und zugleich irenische Enzyklika „Amoris laetitia“ von Papst Franziskus aus dem Jahr 2016.

Im letzten Kapitel hätte Eberhard Schockenhoff „seine zuvor dargelegte Sexual- und Beziehungsethik nochmals auf konkrete Fragen hin anwenden (wollen ...). Konkret sollte es dabei um die Frage nach vorehelichen Lebensgemeinschaften, gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, die Sexualität von Menschen mit Beeinträchtigungen sowie absolute Verbotstatbestände wie Missbrauch und Vergewaltigung gehen" (12). Er hat es nicht mehr vollenden können. Es ist unvollendet und größtenteils unkommentiert im Anhang veröffentlicht.

In seiner inhaltlich gewohnt präzisen, leicht eingängigen und schönen Sprache hat er die katholische Sexualethik neu zu formulieren gewagt und dies nicht nur im vorliegenden Buch dokumentiert, sondern auch durch sein Engagement im entsprechenden Forum auf dem Synodalen Weg kundgetan. Eberhard Schockenhoff „setzte sich ein für ein zeitgemäßes und lebensweltlich rückgebundenes Nachdenken über Sexualität und unterschiedliche Beziehungsformen (...), weg vom moralischen Zeigefinger hin zu einer Kunst des Liebens“ (11), so wie auch der Titel lautet, der dem Thema seine eigentliche, schillernde Schönheit zurückzugeben versucht, die durch rigoristische Begrenzungen, Einschüchterungen und Fremdmachen eines bedeutenden Teils der Lebenswirklichkeit der Menschen verlorengegangen ist.

Elisabeth von Lochner

Die Formulierung hinsichtlich geschlechtergerechter Sprache entsprechen den Wünschen der Autorin.