Ökumene, die das Leben schreibt

Vielfältige Frauenperspektiven auf die christliche Ökumene

Maria Flachsbarth, Regina Heyder, Ute Leimgruber (Hgg.): Ökumene, die das Leben schreibt. Konfessionelle Identität und ökumenisches Engagement in Zeitzeuginnenberichten. (Aschendorff Verlag) Münster 2017, 240 Seiten.

Von Glück und Leid mit der Ökumene, von verschiedenen Beweggründen, Schwierigkeiten und von Leidenschaft im ökumenischen Engagement handeln die 34 Beiträge von Zeitzeugen und Zeitteuginnen, die sich im Band „Ökumene, die das Leben schreibt“ mit einer wissenschaftlichen Reflexion dieser Berichte verbinden. Ein abschließender Essay der herausgebenden Theologinnen Regina Heyder und Ute Leimgruber analysiert die in Länge und Charakter recht unterschiedlichen Texte und wertet sie aus. „Diplomatisch sind diese Texte nicht“ (11) eröffnet die Politikerin Maria Flachsbarth als Mitherausgeberin das Vorwort. Doch können ihr zufolge diese „ökumenischen Lerngeschichten […] Orientierung für die Zukunft“ (12) bieten. 31 Frauen, zwei Ehepaare und ein Mann der Jahrgänge 1928 bis 1993 schildern persönliche Erfahrungen aus konfessionsübergreifenden Beziehungen, aus Liturgie und Gebetsleben oder in Institutionen und theologischen Berufen. Hinzu kommen neben Begegnungen mit anglikanischen und orthodoxen Christen auch Perspektiven auf Taizé und Iona als besondere Orte der Ökumene sowie auf den ökumenischen Weltgebetstag der Frauen.

Entstanden auf Initiative der Theologischen Kommission des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB) bündelt das Buch im Jahr des Reformationsjubiläums sowohl Berichte, die nach einem Aufruf in der Verbandszeitschrift (Ausgabe 7/8 2016) von Leserinnen und Lesern eingesendet wurden, als auch ad personam angefragte Beiträge. Angesichts der Initiatorinnen, der drei Herausgeberinnen und etwa zwei Drittel katholischer Autorinnen und Autoren ist dieser Band ein schwerpunktmäßig katholischer Beitrag zur Ökumene. Fragen nach kirchlichen Weiheämtern für Frauen kommen dabei mehrfach zur Sprache, ohne aber die Vielfalt der Themen zu überlagern. Über ein inzwischen weithin etabliertes katholisch-evangelisches Miteinander hinaus schaut dieser Ökumene-Band umfassender auch auf anglikanische, baptistische und orthodoxe Christen sowie weitere Kirchen, etwa im Rahmen der Weltgebetstagsarbeit.

Ob konfessionsverbindende Freundschaften in Kindertagen, berufliche Laufbahnen, Teilnahme an Taizé-Treffen oder theologische Studienaufenthalte in England, ob Lebenserinnerungen oder intellektuelle Ausführungen: Die lebendigen Beiträge zeigen in ihrer Vielfalt, wie konkrete persönliche Erfahrungen entscheidend dafür waren, wie die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ihre konfessionelle Identität gestalteten und – oft lebenslanges – ökumenisches Engagement entfalteten. Leserinnen und Leser des Bandes werden vermutlich manches wiedererkennen, aber sicher auch vieles neu entdecken. Die Bedeutsamkeit der konkreten persönlichen Ebene bringt Theologieprofessorin und Ökumene-Expertin Dorothea Sattler in ihrem Beitrag prägnant auf den Punkt: „Ökumene ist ein Beziehungsgeschehen.“ (150) Der Essay der zwei Mitherausgeberinnen arbeitet zudem heraus, dass Ökumene „gleichermaßen spirituelle Erfahrung und intellektueller Diskurs“ (218) ist. Die Beiträge  zeigen häufig ein eigenes theologisches Reflektieren, auch bei denjenigen Autorinnen und Autoren, die kein entsprechendes Studium absolviert haben.

Ökumenisches Engagement zeigt der Band aus Sicht der Frauen auch als Weg zu einer verstärkten Identifikation mit der eigenen Kirche. Denn Leimgruber und Heyder beobachten: „Nirgendwo verstehen sich die Frauen so sehr als offizielle Repräsentantinnen ihrer Kirchen (und werden als solche wahrgenommen), wie in diesen institutionalisierten ökumenischen Kooperationen.“ (226) Sie sehen in den Berichten zugleich eine „harte Realität der Geschlechterrollen und -normierungen“ (230), die Frauen in verschiedenen Kirchen erfahren. Eine ebenfalls konstatierte „starke Solidarisierung“ (230) der Frauen untereinander scheint diese Schwierigkeiten aber letztlich aufzuwiegen. Denn Leimgruber und Heyder stellen fest: „Frauen waren und sind in der Ökumene treibende Kräfte.“ (230) Nach Lektüre der hier vorgestellten vielfältigen Frauenperspektiven auf die christliche Ökumene kommt die Frage auf, wie ergänzend oder im Vergleich persönliche Ökumene-Perspektiven verschiedener Männer aussehen würden und wer es unternehmen könnte, solche zusammenzutragen.

Der Band liest sich im Übrigen als erfrischendes Plädoyer nicht nur für ökumenisches Miteinander, sondern auch für ein fruchtbares Zusammenspiel von persönlich erlebter Zeitgeschichte und ihrer wissenschaftlichen Auswertung. Wenn der analysierende Essay von Ute Leimgruber und Regina Heyder als „Einführung“ gekennzeichnet ist, jedoch erst am Ende des Bandes steht, ist dies nur scheinbar unlogisch. Denn es entsteht so ein Gleichgewicht, das weder die Berichte deutend bevormunden noch die Reflexion und Zusammenschau als zweitrangig abwerten würde.

Regina Illemann